nd-aktuell.de / 23.05.2019 / Politik

»Zu einer mentalen Revolution beitragen«

Antonella Bundu will am Sonntag Bürgermeisterin von Florenz werden. Sie ist die erste Schwarze Frau, die in Italien für dieses Amt kandidiert.

Lou Zucker

Frau Bundu, Sie wollen am Sonntag Bürgermeisterin von Florenz werden. Sie sind die erste Schwarze Frau, die in einer größeren italienischen Stadt für dieses Amt kandidiert - und Sie treten gegen acht Männer an. Was bedeutet das in einem Italien unter Matteo Salvini?

Das ist alleine schon symbolisch wichtig. Die Minister von Salvinis Partei, der Lega Nord, versuchen immer wieder, die Rechte der Frauen zu beschneiden. Ihre Politik ist quasi neofaschistisch. Salvini hat in den letzten elf Monaten, seit er im Amt ist, von nichts anderem geredet, als wie sich die »afrikanische Invasion« stoppen ließe, wie er sich ausdrückt. Ich bin Aktivistin, ich habe mich schon immer für Politik interessiert, ich bin nicht nur eine Schwarze Frau. Dass ich als solche kandidiere, sendet trotzdem eine wichtige Botschaft aus.

Auch, wenn Sie die Wahl an diesem Sonntag nicht gewinnen?

Ja. Wir werden sehen, was am Sonntag passiert, aber es gibt viel Enthusiasmus für dieses Projekt und das ist wichtig. Bei mir klingelte erst vor ein paar Monaten jemand an der Tür und fragte, ob die »Signora« zuhause sei. In Italien im Jahr 2019 denken viele immer noch, Schwarze Menschen könnten nur Hausangestellte und Kellnerinnen sein. Ich werde oft geduzt, während alle weißen um mich herum mit »Sie« angesprochen werden. Ein senegalesischer Mann, der in Florenz ermordet wurde, wird in den Medien als »Junge« bezeichnet. Ich denke, dass meine Kandidatur auch zu einer Art von mentaler, kultureller Revolution beitragen kann, dass sie helfen kann, den Prozess etwas zu beschleunigen. Wir sind da anderen Ländern gegenüber, die eine andere Geschichte von Multikulturalität haben, sehr rückständig.

Was wollen Sie noch in Florenz verändern?

Ich möchte denen eine Stimme geben, die nicht gehört werden. Die jetzige Regierung ist theoretisch Mitte-Links, doch sie tut vieles, was die Ängste der Leute schürt, anstatt von sozialer Sicherheit zu sprechen. Florenz hat sehr viel Tourismus, aber die meisten Arbeiter*innen in der Branche sind prekär beschäftigt. Die Einhaltung von Arbeitsrechten wird kaum kontrolliert. Die wenigsten Florentiner*innen können sich noch eine Wohnung in der Stadt leisten, das heißt, sie müssen von auswärts zum Arbeiten kommen. Viele Migrant*innen und arme Italiener*innen in Florenz haben gar keinen festen Wohnsitz, damit sind sie automatisch auch von vielen Sozialleistungen ausgeschlossen. Es gibt viel Leerstand im Zentrum. Anstatt diesen weiterhin an große Hotels zu verkaufen, will ich, dass diejenigen, die im Zentrum arbeiten, auch wieder dort wohnen können. Letztendlich wollen doch auch die Tourist*innen »das echte Leben« sehen. Florenz ist eine reiche Stadt, doch der Reichtum liegt seit Jahrhunderten in der Hand einiger weniger Familien. Ich will Umverteilung.

Sie gehören keiner politischen Partei an. Wie kam es zu Ihrer Kandidatur?

Ich bin politisch aktiv seit ich 17 Jahre alt war, aber immer themenbezogen, nie in einer Partei. Ich war beispielsweise beim Sozialforum dabei, beim runden Tisch für öffentliches Wasser, bei vielen antifaschistischen Demonstrationen. Eine Koalition aus fünf linken Parteien hat mich eingeladen, bei einem öffentlichen Event zu sprechen, zusammen mit 16 anderen Personen. Als sie sahen, dass sich hinter meiner Person die meisten Stimmen versammeln ließen, haben sie mich aufgestellt. So viel Einigkeit ist etwas Besonderes in der zersplitterten italienischen Linken. Da hat es wahrscheinlich geholfen, dass ich keine Parteivergangenheit habe.

Was muss die Linke in Italien jetzt tun?

Die Mitte-Links-Partei, Partito Democratico, bewegt sich immer weiter nach rechts. Sie argumentieren zum Beispiel so: »Guckt mal, Salvini hat gesagt, er schiebt die ganzen Afrikaner ab, aber sie sind immer noch hier«. Das ist keine linke Sprache, das schürt nur die Wut der Leute und gibt keine wirkliche Antwort. Weltweit sehen wir eine Krise des Kapitalismus. Ja, wir haben Probleme, aber die lassen sich nicht lösen, indem wir die Ärmsten bestrafen und uns dadurch besser fühlen.

Ich bin mir sicher, dass die Leute irgendwann aufwachen und sehen, dass es ihnen unter der jetzigen Regierung nicht wirklich besser geht. Aber wir können als Linke nicht so lange warten, wir müssen jetzt handeln. Nach und nach nehmen sie uns unsere Rechte: Sie nehmen uns das Recht zu demonstrieren, uns zu versammeln, das Recht, Migrant*innen aus dem Meer zu retten. In den Schulmensen wurde auf einmal den Kindern mit ausländischen Eltern das Essen nicht mehr bezahlt. Es wurde dann im ganzen Land Geld für diese Kinder gesammelt und die Regierung hat es sich noch einmal anders überlegt. Trotzdem: Vor zehn Jahren hätten wir so etwas für unmöglich gehalten, aber wenn so ein Prozess schleichend passiert, gewöhnt man sich daran.

In der Nähe von Florenz hat vor kurzem die neofaschistische Partei Forza Nuova zu einer Demonstration aufgerufen, um das hundertjährige »Jubiläum« der Geburt des Faschismus zu feiern! So etwas passiert in Italien. Sie waren 137, wir waren 5000 Gegendemonstrant*innen. Aber auch wenn es wenige waren, das ist eigentlich verfassungswidrig, trotzdem durften sie laufen. Einer der acht Männer, die am Sonntag neben mir zur Wahl stehen, ist Mitglied bei Casa Pound, eine Organisation, die sich öffentlich als faschistisch bezeichnet. Ein Casa-Pound-Mitglied hat zwei Senegalesen in Florenz getötet. Wir sind als Linke zu entspannt, es reicht. Wir brauchen eine demokratische Revolution.

Ist Ihnen aufgrund Ihrer Kandidatur viel Hass entgegengeschlagen?

Im Internet werden viele Hasskommentare geschrieben, in die Richtung von »Geh zurück nach Afrika«. Das wird mir erzählt, ich selber lese sie nicht. In solchen Beleidigungen steckt sicher auch etwas Böswilligkeit, aber vor allem sehr viel Ignoranz. Wenn man sich wirklich öffnet und mit anderen Personen spricht, ändert man meist seine Meinung. Ich habe vor ein paar Jahren Unterschriften gegen ein sehr diskriminierendes Migrationsgesetz gesammelt. Eine Dame machte mir die Tür auf und das Erste, was sie sagte war: »Geh zurück in dein Land!«. Ich bin geblieben, habe mit ihr gesprochen und am Ende hat sie sogar unterschrieben. Wenn man jemanden kennen lernt, ist es unmöglich, einem anderen Menschen so viel Hass entgegen zu bringen.