Was alles zum Himmel stinkt

Wie bei der Europawahl entscheiden sich auch im Fußball die dümmsten Kälber für ihren Metzger, meint Christoph Ruf

Berlin als fußballferne Stadt zu bezeichnen, wäre übertrieben. Dank der Arbeitsmigration aus 15 anderen Bundesländern gibt es dort für so gut wie jeden Erstligisten die passende Fankneipe, wo er sich mit gleichgesinnten Bremern, Dortmundern oder Gladbachern die Spiele seiner Mannschaft anschauen kann. Mit dem 1. FC Union und Hertha BSC, den beiden Lokalmatadoren, ist es hingegen eine Krux. Das Stadion des einen ist zu klein, um die Nachfrage zu befriedigen, das des anderen ist zu groß und oft nicht mal zu zwei Dritteln gefüllt.

Auch 2019 brauchte es also wieder Hilfe von außen, um das öffentliche Fußballinteresse Richtung Hauptstadt zu verlagern. Dass sich fürs DFB-Pokalfinale - der Tag, an dem das Olympiastadion unter Garantie Hertha-frei ist - dann die Bayern und RasenBallsport Leipzig qualifizierten, war Pech. Nicht nur in meinem Freundeskreis sind in den vergangenen zwei Wochen die Einladungen zum Grillen explodiert. Man müsse sich wirklich nicht auch noch Spiele anschauen, bei denen man nicht wisse, für wen man sein solle, hieß es.

Am Montag werden sie hingegen alle in die Kneipen strömen und sich das zweite überregional bedeutsame Spiel anschauen, das in Berlin binnen 48 Stunden stattfindet. Und da sind die Sympathien im außerschwäbischen Teil der Republik klar verteilt. Man ist für Union, nicht nur aus Gründen der Herzensbildung, die bei vielen Menschen den Ausschlag für den kleineren Verein gibt. Sondern auch, weil es sich mit dem VfB ähnlich verhält wie mit dem Hamburger SV in der Spielzeit zuvor. Der Eindruck, dass eine derart penetrante Großmannssucht, gepaart mit rezeptpflichtiger Inkompetenz und notorischer Beratungsresistenz irgendwann Konsequenzen haben muss, bleibt nicht ohne Folgen.

Nun ist Häme keine sonderlich angenehme Eigenschaft, zumal man beim Hinspiel am Donnerstag auch Spieler wie Christian Gentner und Mario Gomez sah, die taten, was sie in ihrem Alter tun können, um das Spiel nicht zu verlieren. Auch Sportvorstand Thomas Hitzlsperger muss man zugute halten, dass die Entscheidungen, die er bislang getroffen hat, zu den besten der jüngeren Stuttgarter Vereinsgeschichte gehörten. Wäre Markus Weinzierl Trainer geblieben, könnte der VfB sich jetzt schon auf die Spiele gegen Heidenheim und Fürth einstellen, Interimscoach Niko Willig hat das Team zumindest ein wenig wiederbelebt. Und auch der Schritt, Sven Mislintat als Sportdirektor zu holen, war ein Coup.

Doch was nützt all das, wenn man einen Präsidenten hat, dessen Gesicht für all das steht, was am Montag Millionen von Menschen den Eisernen die Daumen drücken lässt? Großspurig, ignorant, ahnungslos und in Sachen Menschenführung so feinfühlig wie eine Abrissbirne - so präsentiert sich Wolfgang Dietrich seit zweieinhalb Jahren. Aber das sind nicht die einzigen Gründe, warum in Stuttgart derzeit in Zentrumsnähe kaum ein Quadratmeter frei ist, auf dem nicht »Dietrich raus« stünde. Der Mann war Geschäftsführer eines Unternehmens namens Quattrex, das an Fußballvereine Darlehen vergibt, die sich vergolden, wenn die entsprechenden Vereine aufsteigen. Genannt sei hier der 1. FC Kaiserslautern, bei dem, wie an dieser Stelle bereits erwähnt, längst Businessleute das Sagen haben. Genannt sei aber auch - Union Berlin.

Dass Quattrex einen Reibach macht, wenn sich die Köpenicker gegen Stuttgart durchsetzen und aufsteigen, ist also schon skurril genug. Allerdings gibt es massive Zweifel, ob Dietrichs Behauptung stimmt, er habe seit seiner Wahl zum VfB-Präsidenten alle Beteiligungen aufgegeben. Schließlich soll er laut Handelsregisterauszug vom März 2019 immer noch Alleingesellschafter einer Firma sein, die die Hälfte der Anteile an der Quattrex Finance GmbH halten. Und die erhält die Rückzahlungen aus den Darlehen an die anderen Klubs.

Dass das eine Konstellation ist, die zum Himmel stinkt, kann man eigentlich nur schwer bestreiten. Doch außer dem »kicker«-Journalisten Benjamin Hofmann, dessen Recherchen Dietrich unter Druck gebracht haben, und der Wochenzeitung »Kontext«, bei der der Publizist und VfB-Maniac Christian Prechtl die brisanten Fragen stellt, scheint sich die Medienlandschaft nicht sonderlich für das zu interessieren, was beim VfB hinter den Kulissen passiert. Gut für Dietrich, schlecht für diejenigen VfB-Fans, die schon 2016 ahnten, was ihnen unter diesem Präsidenten blüht. Nur die allerdümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber. Passt irgendwie ja auch zur Europawahl.

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