nd-aktuell.de / 28.05.2019 / Politik / Seite 4

Glückstaumel und Bammel

Nach den Wahlsiegen steigen die Erwartungen an die Grünen

Stefan Otto

Am Wahlabend waren die Grünen-Anhänger siegestrunken. Mit einem solchen Sieg haben selbst die größten Optimisten wohl nicht gerechnet. Zweitstärkste Partei weit vor den Sozialdemokraten und deutliche Zugewinne bei der Landtagswahl in Bremen, wo sie entscheiden werden, welche Koalition es künftig geben wird. Eine mit der SPD und den LINKEN oder eine mit der CDU und der FDP. Parteichef Robert Habeck schien am Sonntagabend in Interviews fast benommen zu sein von dem Triumph. Dennoch blieb er demütig, als er etwa sagte: »Alter Schwede, was kommen da für Aufgaben auf uns zu?«

Tags darauf klang er nüchtern. »Wir wissen, dass wir mit dem Ergebnis den Auftrag bekommen haben, eine orientierungsgebende Kraft zu sein.« Zweifelsohne sind die Grünen jetzt ins Zentrum der politischen Debatte gerückt. Für Habeck ist das eine »immense Aufgabe«, denn strukturell und personell ist die Partei bei weitem nicht so gut aufgestellt wie die SPD oder die CDU. Lediglich 80.000 Mitglieder haben die Grünen. Natürlich spürt Habeck auch einen Erwartungsdruck. »Selbstverständlich wissen wir, dass wir Hoffnungen wecken, die erfüllt werden müssen.«

Zweifellos haben die Grünen in den vergangenen Monaten in besonderer Weise von den Klimaprotesten profitiert. Die Demonstrationen von »Fridays for Future« und der Appell Dutzender YouTuber, nicht CDU, SPD, FDP und AfD zu wählen, zeigten Wirkung. Unter den 18- bis 29-Jährigen sind die Grünen mit Abstand stärkste Partei. Annalena Baerbock, die mit Habeck zusammen die Partei führt, sprach denn auch von einer »Klimawahl«. Die hohe Wahlbeteiligung nennt sie außerdem ein Votum für Demokratie und gegen Rechtspopulismus.

Viel haben die Grünen zuletzt dafür getan, sich als Gegenmacht zu rechten Nationalisten und Euroskeptikern zu profilieren. So verwundert es nicht, dass die AfD unmittelbar nach der Wahl die Grünen frontal angegriffen hat: »Die Grünen sind für uns der Hauptgegner, sie sind die Partei, die am weitesten von uns entfernt sind«, sagte AfD-Parteichef Alexander Gauland. Sie würden »dieses Land zerstören, wenn sie tatsächlich ans Regieren kommen«. Viele in der AfD hoffen nun darauf, dass die Grünen sich schon bald selbst entzaubern werden.

Die Partei selbst geht bedächtig vor und schlägt vorsichtige Töne an. Habeck etwa hält die Frage nach einer Kanzlerkandidatur für überflüssig und warnt davor, »um uns selbst zu kreisen«. Dann könnte der grüne Überflug schon bald gestoppt werden. Den Wahlkampf selbst empfanden manche ohnehin als zäh. Auf viel Resonanz stießen Themen wie Klimawandel und Agrarpolitik, erzählte Spitzenkandidat Sven Giegold. Für andere wichtige Themen wie Steuern oder europäische Mindestlöhne interessierten sich die Leute dagegen weitaus weniger.