nd-aktuell.de / 31.05.2019 / Kultur / Seite 13

Der Wert eines Wegwerfhandtuchs

Sony, Universal, Gzuz und andere: Menschenfeindlichkeit im deutschen Rap und der Musikbranche

Silvia Silko

Vor gut drei Wochen vernahm man ein Raunen aus der deutschsprachigen Rap-Szene: Gzuz, der Anführer der Hamburger HipHop-Gruppe 187 Strassenbande, wurde auf Instagram öffentlich von seiner Ex-Freundin Lisa beschuldigt. Diese postete in ihren Instastories eindeutige Vorwürfe - Vorwürfe, die wir nicht benennen dürfen, ohne hinterher Post von Gzuz’ Anwälten erwarten zu müssen. Daher sagen wir nicht, was vorgefallen sein könnte. Uns fiel aber gerade unabhängig von dieser Story ein, dass wir die Filme »Der Feind in meinem Bett« (1991) oder »Genug« (2002) schon lange nicht mehr gesehen haben.

Um es in aller Eindeutigkeit zu sagen: Wir wissen nicht, was bei Kristoffer Jonas Klauß, so der Rapper mit bürgerlichem Namen, und der Mutter seiner zwei Kinder geschehen ist. Es gibt zumindest bisher keine Anzeige von ihr und von ihm kein Statement. Der ganzen Geschichte wurde seitens des Rappers und seines Managements mit Schweigen begegnet. Wer über den Fall Gzuz berichtete, wurde mit Drohungen vom Anwalt ruhiggestellt: Über Rap berichtende Medien wie rap.de, 16bars.de oder hiphop.de, aber auch Bild.de und noizz.de nahmen ihre Artikel offline. Doch auf Twitter, aber auch unter Instagram-Posts wurde munter weiter diskutiert. Es taten sich mehrere Lager auf: Schuld an allem waren wahlweise Gzuz (so etwas hätte man von einem Ehrenmann nicht geglaubt), Lisa selbst (sie wollte es nämlich offensichtlich nicht anders) und die Medien (denn diese geben sofort klein bei, wenn Gegenwind kommt und/oder haben Angst vor den Rappern).

Dann wurde Gzuz’ Bandkollege Bonez MC kurze Zeit später von dessen Freundin wegen häuslicher Gewalt angezeigt, während das Magazin »Vice« Recherchen dazu veröffentlichte, dass Gzuz bereits 2018 einen Strafbefehl wegen sexueller Belästigung bekommen habe. Nun konnten die Medien zumindest diese Schlagzeilen in die Welt posaunen. Als könne man nun endlich sagen: »Gangsta-Rapper sind frauenfeindlich und gewaltverherrlichend.«

Bei einem Musiker, der davon rappt, dass er Frauen im Backstage »zerfetzt« (»Was hast du gedacht?«, 2018), keinen Hehl daraus macht, dass Frauen für ihn wertlos sind (»Die Fotze hat Bock und ich lad’ sie ein (ja)/ Sagt, dass ich sympathisch sei, Komm’ auf ihrem Arschgeweih/ Für mich ist die Hure nichts wert« (»Halftime«, 2018)), und der sich ganz offen zu seiner Homophobie bekennt (»Auf der Straße gelernt, die Schule geschmissen/ Um Schwule zu dissen und Groupies zu ficken« (»Stolz Deutsch«, 2009)), war das auch nicht verwunderlich.

Die Journalistin Salwa Benz, eine der bekanntesten Frauen, die in Deutschland über HipHop berichten, postete unter ihrem Instagram-Bild zum Thema die Frage: »Was soll man als Frau auch dazu sagen? ›Seht her, so sieht unsere Realität aus‹?« - Ja, was soll man als Frau dazu tatsächlich sagen? Dass es einen verwundert, dass das ganze Problem erst jetzt angesprochen wird? Dass es erst jetzt interessiert? Jetzt, wo es öffentlichkeitswirksame Anschuldigungen gibt?

Der Fall erinnert leider verdächtig an die Momente, in denen die Rapper Kollegah und Farid Bang den Musikpreis Echo demontierten: Die Branche überhäufte ihre Lieblingskünstler so lange mit Preisen, bis auffiel, dass die antisemitischen Zeilen auf dem Album »Jung, brutal, gutaussehend 3« (2017) doch nicht ganz so harmlos sind. Dann war der Schreck plötzlich groß: So offen propagierter Antisemitismus, das kann man natürlich nicht tolerieren. Zumindest dann nicht mehr, wenn es alle gemerkt haben und eine riesige Diskussion losgeht, die am Ende schlecht für den Ruf der Leute sein könnte, die hinter Kollegah und Farid Bang agieren und mit ihnen Geld verdienen. Ähnlich ist es hier: Es geht ja nicht nur um Gzuz, der in seinen Texten damit prahlt, dass er jede Frau als billigen Fick haben kann, Schwule doof findet, er sich ohne Ende Drogen in die Birne ballert und ein ganzes Arsenal an Waffen zu Hause herumliegen hat. Popkultur ist immer auch ein Spiegel dessen, was in unserer Gegenwart passiert. Was erfolgreich ist, wird entweder tatsächlich gefeiert und gekauft oder von Labels und Distributoren so stark beworben, dass kaum ein Weg daran vorbeiführt. Was also sagt es aus, wenn Künstler wie Gzuz oder Kollegah an der Spitze der Popkultur stehen und überaus erfolgreich sind? Sie entsprechen dem Zeitgeist und werden unterstützt, finanziert, gefördert. Und wenn dann etwas danebengeht, einem der Künstler mal öffentlichkeitswirksam die Hand ausrutscht, dann werden die Medien an den Pranger gestellt: Warum wird zurückhaltend über Gzuz berichtet? Weil es sich oft um kleine Internet-Redaktionen handelt, die sich keinen Rechtsstreit leisten können, und weil die Lesenden nicht für redaktionelle Inhalte bezahlen möchten. Warum aber stellt keiner diejenigen zur Rede, die in der Musikbranche die Strippen ziehen? Oder glaubt irgendwer ernsthaft, die Verantwortlichen bei den großen Musiklabels wissen nichts von den Textzeilen, in denen Frauen denunziert werden? Die Leute bei Universal und Sony, die Booker, die Festivalveranstalter, aber auch die Fans, sie alle wissen es. Es scheint ihnen nur egal zu sein. Hier geht es nicht mehr nur um ein paar Beats und Textzeilen. Hier geht es um Aussagen, in denen eine Grundhaltung erkennbar wird. Das Argument, Kunst genieße eine gewisse Freiheit, ist kein Argument mehr: Kunst darf nicht alles, und wenn es »nun mal zum Hip Hop dazugehört« (wie gerne argumentiert wird), dass Frauen maximal die Rolle und der Wert eines Wegwerfhandtuchs zukommt, hat der HipHop ein großes Problem und sollte sich einem Reality Check unterziehen. Selbst wenn Kunst alles dürfte, könnte immer noch jeder und jede einzelne sagen: »Das ist unmenschlich, deshalb unterstütze ich das nicht.« Es gibt Grenzen, die man ziehen kann. Jede Person hat für das, was sie tut, Verantwortung, auch als Rezipient. Selbiges gilt übrigens nicht nur für die HipHop-Szene, sondern für die gesamte Gesellschaft.

Leute wie Gzuz oder seine Kollegen sprechen die Dinge vielleicht am menschenfeindlichsten aus - das bedeutet aber nicht, dass es in besser betuchten Milieus anders wäre. Wie war das mit Harvey Weinstein oder Donald Trump, der gewählt wurde, obwohl er laut krakeelend verlauten ließ, Frauen zwischen die Beine zu packen, wann immer es ihn danach gelüstete? Was ist mit der aktuellen Diskussion um Abtreibung in den USA und hierzulande? Hier, wo ein Gesundheitsminister damit durchkommt, vier Millionen für eine Studie auszugeben, die dazu beitragen soll, die Entscheidungsfreiheit von Frauen beim Thema Abtreibung zu beschneiden. Es gibt immer noch den Gender-Paygap. Und in den Vorständen deutscher Unternehmen sitzen immer noch lächerlich wenig Frauen.

Am Ende kommt man immer auf denselben Nenner: männliche Machtausübung. Und das steile Gefälle, dass aufgrund toxischer Männlichkeitsbilder, überkommener Traditionen und konsequenten Wegschauens weiterhin bestehen bleibt. Der Fall Gzuz und die Diskussion darum demonstriert dies nur einmal mehr.