Jetzt heult er, der Kleine

Der Panther vor der Waldhütte und der Opa im Wohnzimmer – Geschichten aus der Kindheit in der BRD- Provinz der 70er Jahre.

  • Frank Schäfer
  • Lesedauer: 5 Min.

Frank mochte Die ruhmreichen Rächer nicht besonders. Zu viele Charaktere mit zu vielen Superkräften. Einer hatte immer einen Trick auf Lager, mit dem er die Truppe raushaute. Die Spinne und Der Dämon waren besser. Die mussten einstecken, die gewannen manchmal nur durch Zufall oder durch Schlauheit. Oder gar nicht. Und dann schickte Marvel den Schwarzen Panther ins Rennen. Er bekam kein eigenes Heft, sondern landete bei den Rächern als Zweitgeschichte im hinteren Teil. Für Frank war er die Hauptsache. Ein Zweifler, Außenseiter, Schwarzer. Königssohn in Wakanda, Kämpfer in New York.

Seine Mutter hatte Frank eine schwarze Haube genäht, dazu trug er eine schwarze Trainingshose, ein schwarzes Sweatshirt und Adidas Samba - er wollte von seinen Freunden »schwarzer Panther« genannt werden, wenn sie in die niedersächsischen Urwälder fuhren und sich in der Nähe der Müllkippe eine Bude bauten.

Sie brachten Latten, Hämmer und Nägel mit, verzichteten auf eine Konstruktionsskizze und kloppten eine windschiefe Hütte zusammen, die sie am Ende mit einer grünen Bundeswehrplane bedeckten und mit Gestrüpp und Moos tarnten. Sie wurde trotzdem entdeckt. Als Frank und die anderen ein paar Tage später nach dem Rechten sahen, hatte jemand die Bude plattgemacht und ein Blatt kariertes Papier mit einem Totenkopf an einen Baum gepinnt.

Der schwarze Panther war wütend und überrascht. Welchen Sinn sollte das haben? »Wenn ich rauskriege, wer das war, kriegen die ein paar auf die Fresse!« Die anderen sahen ihn an, als würden sie das nicht ganz ernst nehmen, er wiederholte seine Drohung.

Sie schleppten die Einzelteile weiter in den Wald, ein paar Hundert Meter entfernt, und bauten die Bude noch schöner wieder auf. Sie wussten jetzt, was sie falsch gemacht hatten beim ersten Mal.

Am nächsten Tag konnte er nicht mit in den Wald gehen, weil seine Mutter ihren Geburtstag feierte. Auch wenn keiner sich um ihn kümmerte, herrschte Anwesenheitspflicht.

Abends rief Andreas an: »Die haben die Butze schon wieder kaputt gemacht«, sagte er resigniert. »Zwei aus der Sechsten. Das ist ihr Wald, haben sie gesagt, wir sollen uns verpissen und nicht mehr dort blicken lassen. Sonst gibt es was aufs Maul.«

»Und was hast du gesagt?«

Andreas zögerte. »Weiß ich nicht mehr ... die waren zu zweit ... ich bin so schnell wie möglich abgehauen.«

Sie trafen sich am nächsten Tag und beratschlagten, was zu tun sei. Keiner hatte eine Idee. Also setzten sie sich aufs Fahrrad, um im Wald nachzusehen, ob man die Hütte noch ein drittes Mal aufbauen könnte. Sie waren gerade losgefahren, als sie ein Junge in einer ausgewaschenen Jeansjacke einholte. Er trug einen Kawasaki-Aufnäher mit Adlerschwingen über der rechten Jackentasche, aus der linken lugte eine Bürste.

»Na, du bist doch der schwarze Panther«, sagte er. »Dein Kumpel meinte, du wolltest mir aufs Maul hauen, weil ich Kleinholz aus eurer Scheißhundehütte gemacht habe. Was ist jetzt?« Und um die Sache abzukürzen, weil er vermutlich noch irgendwelche Automaten knacken oder armen Omas die Handtasche entreißen musste, holte er aus und schlug Frank ins Gesicht. Er traf einen Teil der Wange und die Nasenspitze. Frank hielt sofort an, weil sich seine Augen mit Tränen füllten. Er wollte das nicht, konnte aber gar nichts dagegen machen.

»Jetzt heult er, der Kleine.«

Der Größere verhöhnte ihn und seine »blöde schwarze Pimmelbande« noch eine Weile, drohte weitere Schläge an und verschwand dann wieder so schnell, wie er gekommen war. Frank spürte keinen Schmerz mehr, sondern nur noch Demütigung. Sie brannte im Gesicht. Durch den Tränenvorhang hindurch hatte er das schadenfrohe Grinsen von An᠆dreas bemerkt, der in sicherer Entfernung ebenfalls stehen geblieben war. Sie hatten sich angesehen, der eine hämisch lächelnd, der andere heulend.

Schließlich stieg Frank wieder aufs Rad und fuhr allein davon. »Ich dachte, wir sind Freunde«, sagte er.

***

Er besuchte gern seine Großeltern. Oma, dachte er immer, mochte ihn lieber als seine eigene Mutter, jedenfalls wusste sie ihre Zuneigung deutlicher zu zeigen. Und Opa konnte Geschichten erzählen. Nicht nur Kindergeschichten. Und wenn er ihm anschließend auf die Schulter klopfte, von Mann zu Mann, dann fühlte er sich auf eine Weise für voll genommen, die eine Auszeichnung war.

Im Kreise seiner Brüder und Freunde, auf Frühschoppen und Familienfesten, hielt sich sein Opa meistens zurück. Das wunderte Frank immer. Trotzdem besaß er eine unangefochtene Autorität. Während die anderen das große Wort führten, versicherten sie sich immer wieder seines Wohlwollens, als wachte er über den Wahrheitsgehalt der Anekdoten. Wenn er bei einer allzu argen Übertreibung (»sechs Halbe in einer Stunde, und trotzdem standen wir noch gerade wie eine Eins«) eine grimmiges Gesicht zog, dann folgte sofort die Einschränkung (»können auch fünf gewesen sein!«); und wenn nicht, zeigte er dem Erzähler mit einer ironischen Volte seine Grenzen auf (»so viel Taschengeld hat dir Elfriede doch gar nicht mitgegeben«).

Frank mochte diese Abende, wenn die gute Stube langsam im dichten Zigarrenqualm ihre Unbehaglichkeit verlor, wenn diverse Schnäpse (»Medizin!«) die Hemmschwelle senkten, wenn die Frauen sich darauf verlegten, die Abenteuergeschichten ihrer Gatten zu bestätigen oder allenfalls mit Detailinformationen auszuhelfen - und wenn die Storys ausgepackt wurden, die nach einer raunenden Stimme verlangten.

An einem Abend begann einer der bereits hackedichten Freunde seines Opas Gruselgeschichten vom »Russen« zum Besten zu geben. Er war zu besoffen, um den Unwillen im Gesicht des Gastgebers zu bemerken, oder er hatte sich Mut angetrunken. Frank sah den Ärger kommen. Als der andere nicht aufhörte zu schimpfen, herrschte sein Opa ihn an: »Mensch, sei endlich ruhig - was haben wir denn gemacht?!«

Der Freund sah ein, dass er genug hatte, und machte sich auf den Heimweg. Als er das Haus verlassen hatte, flüsterte der Opa seinem Enkel zu, der Betrunkene habe ihm vor einigen Jahren mal gesagt, er sei Aufseher in einem KZ gewesen.

»Hat man ihn denn nicht eingesperrt?«, sagte Frank empört.

Sein Opa legte beschützend den Arm um ihn und flüsterte weiterhin. »Nicht so laut!«

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