nd-aktuell.de / 04.05.2019 / Kultur / Seite 15

Wie hältst du es mit dem Bilderverbot?

Buchreligionen, insbesondere Judentum, Christentum und Islam, sind heikel: Du sollst dir kein Bild machen. Gemeint ist damit der Allmächtige, der nicht vermenschlicht und damit profanisiert werden soll. Strenggläubige lesen aus dieser Vorschrift ein generelles Bilderverbot heraus. Daran gehalten haben sich zum Glück alle drei Religionen nicht, auch wenn Schriftgelehrte immer wieder dagegen anwetterten. In der islamischen Bildkunst wurde das Gesicht des Propheten Muhammad durch einen weißen Schleier verborgen, in der jüdischen in der Spätantike der Mensch oft von hinten nur dargestellt, die Gesichtszüge wurden schematisiert oder nachträglich ausgekratzt oder durch Fratzen und Tiergesichter ersetzt. Aber spätestens Mitte des 14. Jahrhunderts durften wieder Menschen in Buchillustrationen oder Synagogenausschmückungen dargestellt werden.

Dass der literarische Text und das Bild, z.B. im Kino, zueinander nicht etwa antagonistisch, sondern in einem fruchtbaren dialektischen Wechselverhältnis stehen, hat u.a. der Essayist und Filmkritiker Georg Seeßlen herausgearbeitet. Jede dieser Künste hat ihre Stärken und Defizite; kongruent sind sie nicht, können aber, im besten Falle, jeweils mit den Leerstellen der anderen operieren und Kopfkino generieren. Der Comic bzw. die Graphic Novel wiederum ist per sé ein Zwitterwesen, das aufgrund dieser Leerstellen geradezu verdammt ist, besonders kunstvoll eine Erzählung im Kopf des Lesers zu erschaffen, ihn zu fordern und einzubeziehen.

Der 1971 geborene französische Comiczeichner und Autor Joann Sfar hält nicht viel von Dogmen und noch weniger von Dogmatikern und scheint zudem eine Menge Bücher gelesen zu haben. Jedenfalls hat er Philosophie studiert und kennt sich mit dem deutschen Idealismus ebenso gut aus wie mit der Kabbalistik und den Narrativen des osteuropäischen Judentums. Mit über einhundert Alben gehört er zu den erfolgreichsten und produktivsten europäischen Zeichnern. In seinen Werken tummeln sich Märchen und Sagen, Phantastik, Realgeschichte und Computerspielcharaktere, und bei allem Spaß vermittelt er vor allem eines: Religiöser und ideologischer Fanatismus, Intoleranz, Rassismus und mutwilliger Nichtgebrauch des eigenen Verstandes sind überall und zu jeder Zeit von Übel. Mario Pschera