nd-aktuell.de / 11.06.2019 / Politik / Seite 2

Die Datenkraken in Hessen

Innenminister Peter Beuth (CDU) ist einer der diesjährigen Träger des Negativpreises »Big Brother Award«

Hans-Gerd Öfinger

Bei einer Gala des Bürgerrechtsvereins Digitalcourage im Bielefelder Stadttheater ist dem hessischen Innenminister Peter Beuth der diesjährige Negativpreis Big Brother Award in der Kategorie »Behörden & Verwaltung« zugesprochen worden. Die Auszeichnung wurde dem CDU-Politiker am Wochenende in Abwesenheit verliehen.

Die Wahl fiel auf Beuth, weil er für die bundesweit erstmalige Anschaffung und den Einsatz von Dateienverknüpfungs- und -auswertungssoftware der CIA-nahen US-Firma Palantir im hessischen Polizeidienst verantwortlich sei. Palantir erhalte damit Zugang zum höchst sensiblen Datennetz der Polizei, warnte Laudator Rolf Gössner - Rechtsanwalt, Bürgerrechtler und stellvertretender Richter am Staatsgerichtshof Bremen.

»So können Massendaten aus polizeieigenen und externen Quellen in Sekundenschnelle automatisiert verknüpft, analysiert und ausgewertet werden.« Mit diesem »Dammbruch für die polizeiliche IT-Arbeit« würden Polizeidatenbestände mit den Datenbanken anderer Behörden und aus sozialen Netzwerken verknüpft und könnten auch bloße Kontakt- und Begleitpersonen, Zeugen, Hinweisgeber oder Geschädigte jenseits konkreter Verdachtsmomente ins Visier der Fahnder geraten. »Das hat gravierende Folgen für Grundrechte, Datenschutz und Rechtsstaat.«

Palantir gilt nach Einschätzung der US-Bürgerrechtsvereinigung ACLU als »Schlüsselfirma in der Überwachungsindustrie« und war 2004 mit finanzieller Unterstützung des US-Geheimdienstes CIA gegründet worden. »Die Firma ist tief in den militärisch-digitalen Komplex der USA verstrickt und ihr Geschäftsmodell heißt: Big Data for Big Brother«, so Gössner. Vertrauliche Polizeidaten aus Hessen könnten in die USA abfließen und in die Hände von US-Geheimdiensten gelangen. »Damit geht das schwarz-grün regierte Hessen einen weiteren großen Schritt in Richtung Kontroll- und Überwachungsstaat«, brachte er es auf den Punkt.

Dass Entscheidungsträger aus Hessen bei der Bielefelder Veranstaltung im Rampenlicht stehen, hat Tradition. 2018 war der Big Brother Award den hessischen Koalitionsfraktionen von CDU und Grünen für ein neues Verfassungsschutzgesetz und eine Novellierung des Landespolizeigesetzes zugesprochen worden. Die Anschaffung von Palantir ist nach Einschätzung Gössners auch eine Folge dieser Gesetze. Auch der Name von Hessens CDU-Regierungschef Volker Bouffier taucht auf der Liste der Big Brother Awards auf. Er war als Innenminister zweimal ausgezeichnet worden: 2002 aufgrund einer Wiederbelebung der gerichtlich gerügten Rasterfahndung und 2005 für das »präventive« Orten und Abhören von Mobiltelefonen, DNA-Analysen bei straffälligen Kindern, das Scannen von Kfz-Kennzeichen auch ohne Straftatverdacht sowie Videoüberwachung bei Personenkontrolle.

»Beuth ist ein würdiger Preisträger und hat sich den Big Brother Award redlich verdient«, höhnte der hessische Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (LINKE). »Wer es zulässt, dass eine CIA-nahe Firma Massendaten aus polizeieigenen und externen Quellen automatisieren, verknüpfen und auswerten kann, höhlt Grundrechte aus und unterminiert den Datenschutz.« Dass der Negativpreis erneut nach Hessen gehe, habe in bizarrer Weise auch mit dem Verhalten der Grünen zu tun, die seit 2014 mit der CDU regieren und spätestens mit Vorlage des Verfassungsschutzgesetzes in Sachen Bürgerrechte komplett die Seiten gewechselt hätten. Bis 2014 sei die Ex-Öko-Partei noch als schärfste Kritikerin von Überwachung und Bespitzelung durch Bouffiers Polizeigesetze aufgetreten, doch inzwischen trage sie auch ein bürgerfeindliches Verfassungsschutzgesetz mit, so Schaus.

Zu den diesjährigen Trägern des Big Brother Award gehören auch die Firma Ancestry (Kategorie Biotechnik) und die Nachrichtenseite »Zeit Online« (Kategorie Verbraucherschutz). Ancestry verleite gezielt Menschen mit Interesse an Familienforschung dazu, Speichelproben einzusenden, verkaufe die Gendaten an die kommerzielle Pharmaforschung und schaffe die Datengrundlage für polizeiliche genetische Rasterungen, erklärte Laudator Thilo Weichert. »Zeit Online« nutze Google-Dienste beim Projekt »Deutschland spricht« und habe sich das Nachfolgeprojekt von Google finanzieren lassen. Damit werde die Speicherung politischer Ansichten von Menschen auf Servern in den USA möglich. »Dieser faustische Pakt mit einer der größten Datenkraken beschädigt die journalistische Unabhängigkeit«, so die Laudatio.

Der 1987 gegründete gemeinnützige Verein Digitalcourage mit Sitz in Bielefeld hat sich nach eigenen Angaben dem Engagement für eine »lebendige Demokratie, Bürgerrechte und Datenschutz« verschrieben und lehnt eine Gesellschaft ab, »in der Menschen nur noch als Marketingobjekte, Manövriermasse beim Abbau des Sozialstaates oder als potenzielle Terroristen behandelt werden«.