nd-aktuell.de / 13.06.2019 / Kommentare / Seite 10

Neue Zerreißprobe in der LINKEN

Die Partei täte gut daran, den Klimaschutz nicht den Grünen zu überlassen, meint Hanno Böck

Hanno Böck

Es war die Nachricht zwei Tage vor der Europawahl: Der Youtuber Rezo rief mit 90 anderen dazu auf, nicht die CDU, nicht die SPD und auf keinen Fall die AfD zu wählen, weil sie die Fakten zum Klimawandel ignorieren. Die FDP war Rezo zwar keine Erwähnung wert, aber dass die Liberalen in Sachen Klimapolitik Antworten haben, glauben vermutlich nicht einmal ihre Anhänger.

Lässt man die kleinen Parteien außen vor, war das Video ein Aufruf, die Grünen oder die Linkspartei zu wählen. Doch während die Grünen mit einem Rekordwahlergebnis belohnt wurden, half das Klimathema und der Wahlaufruf der Youtuber der Linkspartei nicht viel. Im Gegenteil. Sie verschlechterte sich sogar im Vergleich zur vergangenen EU-Wahl.

Es ist absehbar, dass die Grünen zur neuen Volkspartei werden. Die Klimakrise wird durch Waldbrände, Hitzesommer und weltweite Extremwetter immer sichtbarer. Die junge Generation hat begriffen, dass es um nicht weniger als ihr Lebensrecht in der Zukunft geht. Doch andere Parteien müssen sich fragen, ob sie das Klimathema den Grünen überlassen.

Die Grünen sind beim Klimaschutz längst nicht so konsequent, wie sie sich gerne geben. In Landesregierungen trugen sie, natürlich immer mit viel Bauchschmerzen, schon Kohlekraftwerke und Tagebaue mit. In Baden-Württemberg, wo die Grünen inzwischen die stärkste Partei sind und seit acht Jahren den Ministerpräsidenten stellen, werden Klimaschutzziele genauso regelmäßig und konsequent ignoriert wie im Bund. Dass Ministerpräsident Winfried Kretschmann der beste Freund der Autoindustrie ist und die Grünen auch deshalb beim Dieselskandal widersprüchlich agieren, ist kein Geheimnis.

In Schleswig-Holstein tun die an der Regierung beteiligten Grünen sich schwer, eine klare Haltung zum Neubau von Hafenterminals für Fracking-Flüssiggas aus den USA zu finden. Und in Berlin ist die grüne Senatsverwaltung zwar Weltmeister im Ankündigen der Verkehrswende, in der Realität kommt davon aber nicht viel an. Die Anzahl der fossil betriebenen Autos auf den Straßen der Hauptstadt nimmt weiter zu.

Die Konflikte zwischen einer Bewegung von vor allem jungen Menschen, die radikale Maßnahmen gegen die Klimakrise erwartet, und einer grünen Partei, bei der Radikalität inzwischen fast schon verpönt ist, werden zunehmen. Bislang hatten sie aber wenig Opposition zu erwarten.

Natürlich bekennt sich die LINKE zum Klimaschutz. In Programmen und Statements bemüht man sich regelmäßig, noch ein bisschen radikaler als die Grünen zu formulieren. Inhaltlich naheliegend ist es allemal: Die Klimakrise ist die größte soziale Frage aller Zeiten. Als konsequentere Alternative zu den Grünen bietet sich die Linkspartei bislang jedoch nicht an. Doch genau das muss sie tun, um in Zukunft eine Rolle zu spielen.

Die Widersprüchlichkeit der linken Klimapolitik ist bisweilen eklatant. 2013 führte Oskar Lafontaine im Saarland einen populistischen Wahlkampf gegen Windkraftanlagen. In Brandenburg regiert seit langem eine rot-rote Koalition, in der auch Politiker der LINKEN oft genug an der Seite der Braunkohlelobby standen. 2016 stellten sich Vertreter der Partei offensiv gegen dort protestierende Klimaaktivisten von »Ende Gelände«. Angesichts solcher Vorfälle klingt die Forderung nach einem Kohleausstieg bis 2030, wie ihn die Partei im EU-Wahlprogramm formuliert hat, nicht glaubwürdig. In der Berliner Lokalpolitik kommt es bisweilen vor, dass Politiker der Linkspartei lieber auf Seiten der autofahrenden Bevölkerung Radwege blockieren, statt den fossilen Verkehr zurückzudrängen.

Um glaubwürdig beim Klimaschutz rüberzukommen, müsste sich die LINKE dazu bekennen, dass das Lebensrecht von den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Menschen im Zweifel wichtiger ist als der Arbeitsplatz in brandenburgischen Braunkohlerevier. Im Kern ist es eine Diskussion, die die Partei schon bei der Flüchtlingspolitik zu einer Zerreißprobe zwang: Sieht sie sich primär als Vertretung der sozial Schwachen hier und jetzt? Oder betrachtet sie Sozialpolitik international und gerade beim Klimawandel auch über Generationen hinweg? Die Antwort auf diese Frage wird darüber entscheiden, ob die Linkspartei sich als glaubwürdige Stimme gegen die Klimakrise und als radikale Alternative zu den Grünen etablieren kann.