nd-aktuell.de / 18.06.2019 / Politik / Seite 5

»Antifa heißt CDU wählen«

CDU-Kandidat gewinnt Stichwahl um Görlitzer Rathaus nur dank breiter Unterstützung

Robert D. Meyer

Rund drei Autostunden liegen zwischen dem Berliner Konrad-Adenauer-Haus und Görlitz. Sonntagabend trennten die CDU-Parteizentrale und die Kommunalpolitik in der ostsächsischen Stadt an der Neiße allerdings wieder einmal Welten. Octavian Ursu, Kandidat der Christdemokraten, zitterte sich bei der Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt gegen den AfD-Politiker Sebastian Wippel zum Sieg. Während die Auszählung lief, war lange Zeit nicht absehbar, wer von beiden das Rennen machen würde. Am Ende setzte sich Ursu mit 55,2 Prozent und einen Vorsprung von 10,4 Prozentpunkten durch.

Für dieses Ergebnis bedurfte es eines breiten Bündnisses: Um einen AfD-Oberbürgermeister im Görlitzer Rathaus zu verhindern, verzichteten die Kandidaten Franziska Schubert (Grüne) und Jana Lübeck (LINKE) nicht nur auf den zweiten Wahlgang. Sie und ihre Parteien riefen zudem dazu auf, Ursu die Stimme zu geben. »Ich habe es getan, zum ersten Mal in meinem Leben CDU gewählt, kein gutes Gefühl aber heute wirklich alternativlos«, erklärte etwa der sächsische LINKEN-Landtagsabgeordnete Mirko Schultze. Wie ihm ging es vielen Wählern aus dem linken Lager. Sie wählten Ursu nur, um Wippel zu verhindern. Selbst die lokale Linksjugendgruppe warb für ihn: »Antifa heißt CDU wählen, jedenfalls in Görlitz«.

In der CDU-Zentrale hatte man von dieser Unterstützung der politischen Konkurrenz in den letzten Wochen offenbar nichts mitbekommen oder ignorierte die Tatsache absichtlich. Der Sieg Ursus gegen einen AfD-Kandidaten zeige, dass die CDU »die bürgerliche Kraft gegen die AfD« sei, behauptete Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Sonntag auf Twitter, ohne zunächst auf die Wahlkampfhilfe der anderen Parteien einzugehen. Dass die Vorsitzende mit ihrer Feststellung in kein Fettnäpfchen trat, sondern die Äußerung gezielt so wählte, zeigte später die Einschätzung von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak: »Es ist auch ein großer Erfolg und Rückenwind für die sächsische Union unter Ministerpräsident Michael Kretschmer«. Erst nach massiver Kritik ruderte Kramp-Karrenbauer zurück und ergänzte, es sei der »Sieg eines breiten Bündnisses, für das ich dankbar bin«. Dass die CDU kein Bollwerk gegen rechts ist, dafür steht Görlitz exemplarisch. Bei der Stadtratswahl vor drei Wochen wurde die AfD mit über 30 Prozent stärkste Kraft, während die Konservativen zweistellig verloren. Bei der Bundestagswahl 2017 musste sich der heutige sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) dem AfD-Politiker Tino Chrupalla geschlagen geben.

Ein ähnliches Szenario droht nun bei der Landtagswahl am 1. September. Kretschmer tritt als Direktkandidat im Wahlkreis »Görlitz 2« an. In der AfD gibt es jetzt Überlegungen, ihren unterlegenen Oberbürgermeisterkandidaten Wippel gegen Kretschmer antreten zu lassen. Gewinnt dieser seinen Wahlkreis im Herbst nicht, wäre er als Ministerpräsident nicht zu halten. »Wir wissen, dass Sebastian Wippel als Sympathieträger funktioniert«, sagte Chrupalla am Wahlabend gegenüber der »Zeit«. Das Rennen um das Direktmandat dürfte auch aufgrund einer dritten Kandidatin eng werden. Neben Kretschmer und voraussichtlich Wippel tritt die im ersten Durchgang der OB-Wahl drittplatzierte Kandidatin Franziska Schubert an. Die 37-Jährige hatte für die eigentlich Überraschung im Kampf um das Rathaus gesorgt, als die Grüne 27,9 Prozent holte.

Die Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt war für die AfD von so großer strategischer Bedeutung, dass die Rechtsaußenpartei deshalb sogar ihre Entscheidung darüber, ob sie mit einem eigenen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten bei der Landtagswahl antreten werde, vertagt hatte. Görlitz sollte als Stimmungstest dazu dienen. In den Planspielen der Partei dürfte Wippel nach der Abstimmung vom Sonntag noch einmal an Gewicht gewonnen haben.

Bei einer Wahlbeteiligung von 56 Prozent gelang es ihm, jeden vierten Wahlberechtigten in Görlitz von sich zu überzeugen. Im Vergleich zum ersten Wahlgang legte der 37-Jährige bei der absoluten Zahl der Stimmen um über 1600 auf 11 390 Stimmen zu. Enttäuschung kam bei dem Landtagsabgeordneten nach seiner Niederlage nicht auf. Für die anderen Parteien war der Sonntag dagegen ein weiterer Warnschuss.