Der Aber-Faschismus

Das Geaber mal anders formuliert: »Es ist falsch, ›Zeit‹-Mitarbeiter im Mittelmeer zu ersäufen. Aber …«

  • Tim Wolff
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn eine Situation eindeutig, aber unliebsam ist, dann muss der liberale Politredakteur fleißig herumabern, und wenn dabei ein Mindestanspruch an Menschlichkeit flöten geht. »Jede Hilfe für in Not geratene Menschen ist richtig. Aber …«, schreibt Ulrich Ladurner von der Wochenzeitung »Die Zeit«. Oder: »Wer helfen will, der muss dazu beitragen, die Debatte um Migration zu entgiften … Salvini ist nicht der Mann dafür, gewiss. Aber …« Es ist egal, was nach dem Geaber kommt, denn der erfahrene Leser kennt diese Deppendialektik.

Sie läuft darauf hinaus: Die Wahrheit liegt immer, immer, immer in der Mitte. In diesem Fall zwischen den Extremen Menschenrettung und Faschismus. Da kann man sich nicht einfach so für eine Seite entscheiden, da muss man abwägen. Denn sonst müsste man am Ende ein Mensch sein wie Carola Rackete, würde konsequent handeln, statt am Schreibtisch Menschenleben zu verhandeln - und könnte sich dabei nicht so billig klüger fühlen: Menschenrettung »trägt nur zur Eskalation bei. Das ist das Metier« - das Metier Eskalation - »das Italiens Lega-Chef und Innenminister Matteo Salvini beherrscht wie kein Zweiter. Nichtregierungsorganisationen wie Sea-Watch, die glauben, man müsse jetzt auf Eskalation mit Salvini setzen, verstehen nicht, dass das Thema Migration vor allem eines braucht: Deeskalation.« Denn die beherrscht Salvini nicht.

Es ist eine Argumentation, die deutscher nicht sein könnte: Wer sich einem Faschisten widersetzt, macht Faschismus erst möglich! Also sollte man lieber Menschen sterben lassen, damit Salvini nicht gewinnt. Ladurner schwant, wie simpel er Sea-Watch für eine italienische Regierung verantwortlich macht, wie wackelig er da diffamiert: »Sea-Watch ist natürlich nicht verantwortlich für diesen Wahlerfolg Salvinis. Aber …«

Und an der Stelle sollte man doch mal schauen, was dem Aber folgt: »Aber so zu tun, als spiele Sea-Watch dabei gar keine Rolle, das ist im besten Fall naiv - im schlimmeren Fall ist es hinterlistig.« Ja, hinterlistig - das waren die Feinde der Faschisten schon immer. »Die Entscheidung der Seenotretter, sich über das Anlegeverbot der italienischen Regierung hinwegzusetzen, läuft am Ende darauf hinaus, den Innenminister Salvini bloßzustellen - selbst wenn das bewusst nicht beabsichtigt sein mag. Aber …« Aber sollte man einen geradlinigen Kerl wie den Salvini hinterlistig bloßstellen? Nein, sollte man nicht! Denn es ist nur provozierende PR: »Seht her, so inhuman ist Salvinis Flüchtlingspolitik, das ist die Botschaft von Sea-Watch.«

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Nehmen wir mal an, Sea-Watch und Rackete wäre es tatsächlich auch um Publicity gegangen: Was wäre so falsch daran? Vermutlich, dass ihre Botschaft wahr ist - was einem Ladurner aufstoßen muss, denn er kommt aus der liberalen »Zeit«-Schule, die PR-Aktionen nur schätzt, wenn sie auf den Lügen der Werbung und des Lobbyismus basieren. Und wenn man genauer hinschaut, ist dieser Salvini ja gar nicht so schlimm. Da kommen an anderer Stelle auch schon noch Geflüchtete nach Italien: »Möglich wurde dieser Korridor durch die Zusammenarbeit der Kirchen, einzelner Gemeinden und, Achtung: der italienischen Regierung, der Salvini angehört. Es gibt also wirksame Hilfe in der Flüchtlingskrise, auch ohne Lärm. Man wünscht sich mehr davon.« Ja, Ladurner weiß, für wen er schreibt: Man - nämlich das »Zeit«-Publikum - wünscht sich weniger lärmende Schreie beim Sterben im Mittelmeer, damit man das Treiben der Faschisten deeskaliert, die letztlich auch nur ihre Ruhe wollen.

Weswegen ich still und leise gerne eine andere Diskussion führen möchte. Ich formuliere den Ansatz mal so: »Es ist falsch, ›Zeit‹-Mitarbeiter im Mittelmeer zu ersäufen. Aber …«

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