Gefährlicher Systemausfall

Weder der DFB noch die Bundestrainerin sehen das frühe WM-Aus der deutschen Fußballerinnen kritisch genug

  • Frank Hellmann, Rennes
  • Lesedauer: 4 Min.

Abschied nehmen fällt immer schwer. Gerade wenn eine Herberge so idyllisch liegt, wie das Domaine de Cicé-Blossac in den Ausläufern der Vilaine, dem verschlungenen Fluss in der Bretagne. Vom Start- und Endpunkt ihrer WM-Mission ging es für die meisten deutschen Fußballerinnen am Sonntagmorgen zum Bahnhof in Rennes - und von dort mit dem TGV in die jeweiligen Heimatorte. Der einstige Trendsetter und zweifache Weltmeister Deutschland ist nicht mehr dabei, wenn die Finalwoche dieser Weltmeisterschaft in Lyon steigt. England und die USA sowie die Niederlande und Schweden bestreiten am Dienstag und Mittwoch die Halbfinals, das Endspiel folgt am Sonntag. Die DFB-Frauen hingegen stehen nach dem 1:2 im Viertelfinale gegen Schweden als Verliererinnen da.

»Es war eine kurze und lange Nacht, weil man nicht gut einschläft«, bekannte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg am Sonntagmorgen. Dzsenifer Marozsan, die Starspielerin von Olympique Lyon, humpelte in aller Frühe allein zum Taxi, sie will sich die restlichen Spiele »zuhause anschauen«. Nicht in Lyon im Stadion, sondern am Fernseher in Saarbrücken. Die Stimme der 27-Jährigen stockte, aber grundsätzliche Zweifel äußerte sie nicht. »Die Mannschaft hat viel Potenzial und wird zusammenwachsen.« So wie die gebrochene Mittelzehe ihres linken Fußes.

Marozsan war unter Bundestrainerin Steffi Jones die Kapitänin, als die DFB-Spielerinnen bei der EM 2017 das Viertelfinale gegen Dänemark mit 1:2 verloren hatten. Nun, diesmal in Rennes, schien sich die Geschichte zu wiederholen. Es war derselbe Systemausfall zu besichtigen: Ein Gegentor genügte, um den Stecker zu ziehen. Nach der Führung von Lina Magull in der 16. Minuten drehten Sofia Jakobsson sechs Minuten später und Stina Blackstenius in der 48. Minute mit ihren Treffern das Blatt zu Gunsten der Gegnerinnen.

Bei allen Beteiligten wäre das Eingeständnis hilfreich, dass das frühe WM-Aus weniger mit »fehlendem Spielglück« (Voss-Tecklenburg), sondern eher mit fußballerischer Armut zu tun hatte. Dass der amtierende Olympiasieger nun bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio fehlt, weil sich dafür nur die besten drei europäischen Teams der WM qualifizieren, ist bitter. Als nächstes Ziel bleibt nun nur die Europameisterschaft in zwei Jahren in England.

Selbst die schwedischen Fans, die irgendwann am späten Sonntagabend aus den Studentenbars der Mail Francois Mitterrand vertrieben worden sind, konnten sich nicht daran erinnern, dass ihnen der Angstgegner jemals so wenig Schrecken eingejagt hat. »Das darf nicht passieren. Es ist einfach blöd, wenn uns ein langer Ball aus der Bahn wirft«, kritisierte die bei dieser WM erstmals bezwungene Torhüterin Almuth Schult. Die 28-Jährige wusste natürlich, dass die Niederlage im Roazhon Park vieles konterkariert, was gerade sie sich vehement gewünscht hatte: mehr Aufmerksamkeit und mehr Nachhaltigkeit für die Fußballerinnen in Deutschland.

Gerade deshalb wären zwei weitere Spiele bei dieser WM so wichtig gewesen. »Wir müssen darin auch eine Chance sehen, dass es uns Zeit und einen Rahmen gibt, Entwicklungen anzuschieben, Veränderungsprozesse kontinuierlich weiterzugehen und bei der EM 2021 eine gute Rolle zu spielen. Es darf für uns kein Rückschlag sein«, sagte Voss-Tecklenburg, die eine »sachliche Analyse« ankündigte. Die 51-Jährige wird genau überlegen müssen, wem sie beim Erneuerungsprozess mehr Verantwortung überträgt. Die 17-jährige Lena Oberdorf, die ein Jahr älteren Giulia Gwinn und Klara Bühl und vielleicht auch die 21-jährige Lea Schüller sollen zu Leistungsträgerinnen reifen, während Lena Goeßling mit 33 Jahren wohl als erste ihren Rücktritt erklären wird.

»Au revoir Bretagne«, posteten die DFB-Frauen zu den mit trauriger Musik unterlegten Abschiedssequenzen. Au revoir Weltspitze wäre treffender gewesen. Für Voss-Tecklenburg ist das aber eine »Sache der Definition«. Denn: »Wir haben nicht 0:5 verloren, sondern 1:2. Ich glaube, dass auf der anderen Seite ein Gegner stand, der robuster, cleverer und cooler war.« Eine Vollbremsung wollte die Bundestrainerin mit dem verfrühten Ausstieg aus ihrer Tour de France partout nicht erkennen, im Gegenteil: »Ich erwarte, dass wir daran wachsen. Weil wir ein Spiel verloren haben, stellen wir nicht alles infrage.«

Ihre Vorgesetzten haben auf Grundsatzdiskussionen im weiblichen Bereich ohnehin keine Lust, obwohl gerade auch die Bundesliga der Frauen den Anschluss verliert. Der für die Nationalmannschaften zuständige DFB-Direktor Oliver Bierhoff erteilte per Ferndiagnose bereits reflexartig Rückendeckung für die Bundestrainerin, obwohl nach Rennes nur sein Sportlicher Leiter Joti Chatzialexiou gereist war. »Martina Voss-Tecklenburg hat in der kurzen Zeit schon sehr viel bewegt, wir haben viele tolle Ansätze gesehen, die Erneuerung schreitet voran.« Diesen Weg solle die Trainerin mit ihrem Team »konsequent fortsetzen«, meint Bierhoff.

Ob nicht wie nach der EM 2017 nun auch über Voss-Tecklenburgs Tun als Trainerin gesprochen werden müsse, löste bei dem völlig nassgeschwitzten DFB-Vizepräsidenten Rainer Koch fast einen Hitzschlag aus: »Diese Frage erübrigt sich! Es war ein hartes Stück Arbeit, sie als Trainerin zu gewinnen. Wer sie erlebte, kommt nicht auf die Idee, sich ein weiteres Thema ins Haus zu holen. Wo keine Probleme sind, muss man sich keine machen.« Die DFB-Spitze nimmt es gelassen, dass seine Frauen 2019 im Kampf um den WM-Titel chancenlos waren. Vielleicht ja auch, weil die Männer 2018 noch viel früher nach Hause fahren mussten.

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