nd-aktuell.de / 13.07.2019 / Politik / Seite 4

Korrupt, überfordert, chaotisch

Der Historiker Marcus Böick sieht einen neuen Treuhand-Untersuchungsausschuss mit Skepsis

Sebastian Bähr

Die Linkspartei fordert einen neuen Untersuchungsausschuss zur Treuhandanstalt. Ein sinnvolles Unterfangen?

Erstmal ist es zu begrüßen, dass das Thema Treuhand nach Jahren wieder stärker in den Fokus rückt, auch auf Bundesebene. Ein neuer Untersuchungsausschuss würde aber in dieser aufgeheizten Stimmung wohl letztlich nur zu einer weiteren Polarisierung der Debatte führen, was einer gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung eher im Wege steht. Auch die vergangenen Treuhanduntersuchungsausschüsse der 1990er Jahre hatten lediglich dazu geführt, dass das Thema kontroverser und emotionaler behandelt wurde. Nun würde es vermutlich in eine ähnliche Richtung gehen.

Was waren die Erkenntnisgewinne der vergangenen Treuhanduntersuchungsausschüsse?

Der prominenteste Untersuchungsausschuss wurde 1993 bis 1994 von der SPD eingesetzt. Eine Rolle spielten hier insbesondere die Proteste der Bergarbeiter von Bischofferode sowie die bevorstehende Bundestagswahl. Im Endeffekt standen sich zwei Lager dort unversöhnlich gegenüber: Die regierende Koalition aus Union und FDP hatte die Arbeit der Treuhand umfassend verteidigt, als alternativlos beschrieben und die Verwerfungen mit den Defiziten der DDR-Planwirtschaft erklärt. Auf der anderen Seite hatten PDS, SPD und Grüne die Treuhandanstalt scharf kritisiert und Fälle von Korruption und Machtmissbrauch angeprangert. Die PDS war mit ihrer Kritik am schärfsten, auch um der westdeutschen Dominanz eine ostdeutsche Gegenerzählung entgegenzusetzen. Beide Seiten pickten sich in der Auseinandersetzung jeweils Beispiele zur Bekräftigung der eigenen Perspektive heraus. Und auch damals gab es schon große Konflikte um die Aktenfreigabe.

Verteidiger eines neuen Untersuchungsausschuss verweisen darauf, dass nun erstmals veröffentlichte Treuhandakten weitere Erkenntnisse bringen könnten.

Da bin ich eher skeptisch. Ich würde nicht die große Revision oder den alles umstürzenden Quellen- oder Aktenfund erwarten. Dafür ist die Geschichte der Treuhand zu widersprüchlich und zu kontrastreich.

Was ist von der Aufarbeitung der nun zur Verfügung stehenden Akten dann zu erwarten?

Das Bundesarchiv hat vor zwei, drei Jahren begonnen, den Treuhandbestand aufzuarbeiten, immerhin 45 Regalkilometer an komplexem Material einer bisweilen chaotisch arbeitenden Behörde. Geduld ist jedoch angebracht, die Aufarbeitung kann Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Große Forschungsprojekte wie des Instituts für Zeitgeschichte in München haben nun ihre Arbeit aufgenommen. Sie können mit empirischen Studien und differenzierten Untersuchungen unser bisher recht grobes Bild jener Zeit feiner zeichnen, Diskussionen mit neuen Argumenten ausstatten, die Situation bestimmter Branchen oder Städte konkreter analysieren.

Einige Kritiker monieren, dass das CDU-geführte Bundesfinanzministerium das Münchner Institut für Zeitgeschichte bewusst gewählt hatte, um das politische Risiko der Forschung gering zu halten.

Das Forschungsprojekt des Münchner Instituts für Zeitgeschichte ist ein wichtiger und wesentlicher Baustein für die Erforschung dieser historisch noch weitgehend unerschlossenen Zeitphase nach 1990. Die Kollegen wissen mit den Erwartungshaltungen der verschiedenen Seiten seriös umzugehen. Darüber hinaus brauchen wir aber auch eine plurale gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der Nachwendezeit aus verschiedenen Perspektiven, mit diversen Quellen und an verschiedenen Standorten. Es gibt ein Großprojekt, und danach ist dann alles abschließend geklärt - so wird es sicher nicht funktionieren.

Was bedeutet es, dass neben der Linkspartei vor allem die AfD einen neuen Treuhanduntersuchungsausschuss fordert?

Grade die ostdeutschen Landesverbände haben erkannt, dass die Themen Treuhand und Nachwendezeit eine hohe Sprengkraft bei älteren Ostdeutschen bergen. Aus AfD-Perspektive lassen sich diese Felder sehr gut in eine populistische Generalkritik am politischen System einbetten. Fremde Mächte bestimmen in dieser Erzählung von oben über die Schicksale der einfachen Ostdeutschen und bereichern sich auf Kosten der Bevölkerung. Erst waren es die »SED-Bonzen« und dann »die Westmanager«. Natürlich versucht die AfD damit der Linkspartei Konkurrenz als ostdeutscher Interessenvertreterin zu machen. Ich habe große Zweifel, dass es der Rechtsaußenpartei wirklich um eine substanzielle Aufarbeitung der Nachwendezeit geht.

Blicken wir auf die konkrete Arbeit der Treuhandanstalt Anfang der 1990er Jahre: Wie stark war in der Behörde Korruption verbreitet?

Es ist schwierig, eine seriöse Bilanz zu ziehen oder konkrete Zahlen zu nennen. Es gab durchaus einige Fälle von Korruption, Skandalen und Bereicherungen; auch Verhandlungen, in denen man sehr stark im Interesse westdeutscher Investoren agiert hatte. Manchmal waren die Treuhand-Manager aber auch einfach von der Situation überfordert. Die Konfliktlinie verlief auch nicht immer zwischen West- und Ostdeutschen. Investoren hatten andere Interessen als Treuhandmanager, Juristen, Politiker und Betriebsräte waren involviert, Treuhand-Experten hatten sich mitunter für die Belegschaften eingesetzt. Die Erzählung »Der Wessi-Investor kommt mit Hilfe der Treuhand und macht den Laden platt« ist letztlich zu einfach.

Inwiefern konnten Ostdeutsche die Arbeit der Treuhand beeinflussen?

Die Ostdeutschen waren nicht nur Opfer. In einzelnen Fällen konnten sie durchaus Erfolge oder Teilerfolge erzielen. In einigen Punkten konnte die Treuhandpolitik durch die Proteste abgemildert werden, vor allem wurde mit dem wachsenden Widerstand aber der Sozialstaat aktiver. Bischofferode ist da ein gutes Beispiel: Die Grube wurde zwar letzten Endes geschlossen, aber die Entschädigungen und Abfindungen für die Kumpel konnten erhöht werden. Dieser Verlauf spielte vermutlich ebenfalls eine Rolle, als Ende 1993 die Proteste in sich zusammengesackt waren.

Hätte man mit einer anderen Politik nicht doch einen größeren Teil der DDR-Wirtschaft retten können?

Das ist ein Streitpunkt, der uns bis in die Gegenwart begleitet und wohl kaum objektiv zu klären ist. Er betrifft vor allem die Frage nach dem Volksvermögen. Zu Beginn des Jahres 1990 wurde es vom DDR-Regierungschef Hans Modrow noch auf 1000 Milliarden D-Mark geschätzt, Mitte des Jahres waren es dann nur noch 650 Milliarden D-Mark, und 1994 gab es eine negative Abschlussbilanz von Minus 300 Milliarden D-Mark. Die Treuhand versuchte natürlich nachzuweisen, dass die DDR-Wirtschaft wenig wert war. Viele Ostdeutsche wollten dagegen betonen, was man in 40 Jahren DDR materiell und kulturell erarbeitet hatte. Ihnen ging es dabei auch um die Anerkennung ihrer Lebensleistung.

Einige Stimmen hatten die Überführung der ostdeutschen Wirtschaft in Selbstverwaltung gefordert. Welche Rolle spielten diese Vorschläge?

Es gab vor 1990 eine breite Debatte über einen reformierten Sozialismus und damit auch über die Demokratisierung der ostdeutschen Planwirtschaft. Die Übertragung der Betriebe auf die Belegschaften sollte etwa über Volksvermögens-Anteilsscheine oder syndikalistische Modelle erfolgen. Diese Konzepte waren jedoch nur in der Zeit vor der Wirtschafts- und Währungsunion relevant. Im Zuge der Verhandlungen entschieden sich die Regierungen in Bonn und Ost-Berlin dann für eine möglichst rasche Privatisierung an hauptsächlich westdeutsche Investoren.

Spielten im Verlauf der Privatisierungen die Alternativvorschläge noch eine Rolle?

Mit Beginn der raschen Massenprivatisierungen ging es weniger um Alternativen als um eine Kritik an diesen Vorgängen und ihren Folgen. Es gab dann Vorschläge, das Privatisierungstempo abzumildern, industrielle Kerne zu schützen oder das Treuhandgesetz zu ändern. Der große Gegenentwurf blieb jedoch aus. Die Schockwirkung und die Dynamik des Wirtschaftsumbaus waren zu groß. Man muss dabei aber auch beachten: Die Volkskammerwahl von 1990 war durchaus eine bedeutende Weichenstellung. Die überwältigende Mehrheit der Ostdeutschen hatte sich für das westdeutsche Wirtschafts- und Währungsmodell entschieden - auch gegen warnende Stimmen von zahlreichen Ökonomen und Politikern.

Wie stark war die politische Kontrolle der Treuhand?

Gerade in der Frühphase zwischen 1990 und 1992 hatte die Treuhand einen sehr weiten Handlungs- und Entscheidungsspielraum. Es gab zwar Abstimmungen mit den Bundesministerien und Landesregierungen, aber als Modell war die Behörde relativ autonom gestaltet. Die Treuhand-Präsidenten Detlev Rohwedder und Birgit Breuel hatten darauf gedrängt, dass man ihnen den Rücken freihielt. Das änderte sich erst sukzessive ab 1993, als der gesellschaftliche Widerstand wieder zunahm. Es gab Untersuchungsausschüsse, der Bundesrechnungshof schrieb wütende Gutachten, Landesregierungen und Gewerkschaften erhöhten den Druck. Die Treuhand musste sich nun auch auf Kompromisse einlassen, industrielle Kerne erhalten, Sanierungen gegenüber Schließungen bevorzugen. Die Treuhand-Manager waren darüber nicht erfreut.

Inwiefern zeigen sich die Folgen der Treuhandpolitik bis heute?

Über die langfristigen Folgen wissen wir noch relativ wenig. Man kann erkennen, dass die ostdeutsche Wirtschaft heute im Vergleich zur westdeutschen deutlich kleinteiliger ist und weniger tarifgebunden erscheint. Dazu ist sie stärker von westdeutschen Eigentümern abhängig, kann weniger eigenständig agieren. Das sind durchaus Effekte, die sich auch - aber eben nicht nur - mit der Treuhandpolitik und dem schnellen Privatisierungstempo erklären lassen. Hier wären ökonomische Untersuchungen ein spannendes Unterfangen.

Was wäre aus Ihrer Sicht neben weiterer Forschung nun gesellschaftlich notwendig?

Es sollte darum gehen, im Dialog über die Nachwendezeit ein gegenseitiges Verständnis zu fördern. Ostdeutsche könnten hier erkennen, dass es nicht nur die »Abzocke durch finstere westdeutsche Manager« gab, Westdeutsche die Langfristigkeit der ostdeutschen Frustrationen verstehen lernen. Es bräuchte dazu gemeinsame Blickwinkel, die weder in westdeutschen Heldengeschichten noch in ostdeutschen Opfergeschichten aufgehen. Das Bild sollte komplexer und differenzierter werden, sowie die Widersprüche der Entwicklungen berücksichtigen. Das alles bleibt eine langfristige Aufgabe - zwischen Ost und West, aber auch zwischen den Generationen.