Hirn im Wandel

sieben tage, sieben nächte über Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz (KI) sei als Thema in dieser Zeitung überrepräsentiert, kritisierte kürzlich eine Kollegin. Das liegt allerdings in der Natur der Sache. Denn im Gegensatz zu Frieden, Gerechtigkeit und natürlicher Intelligenz geht es auf diesem Gebiet mit großen Schritten voran. Soeben wurde gemeldet, dass die Computer-Software »Pluribus«, entwickelt von Wissenschaftlern an der Carnegie Mellon University in Pittsburgh (USA), sechs Poker-Cracks gleichzeitig besiegen konnte, also offenbar auch schon das Bluffen in Perfektion beherrscht.

Konsequenterweise sehen sich bereits 42 Prozent der über 55-Jährigen in Deutschland im Alter mit Robotern spielen. Ob sie dabei ans Pokern denken oder eher an Mensch-ärgere-Dich-nicht, ließ die Studie einer Krankenversicherung zwar offen. Nicht aber, dass ein Drittel der Befragten auch künftige Unterhaltungen mit Pflegerobotern nicht ausschließt, wenn sonst niemand da ist. Die Mehrheit, gut zwei Drittel, rechnet jedoch eher damit, die Geräte zu schlichteren Tätigkeiten heranzuziehen - etwa als Hilfe, um aus dem Bett zu kommen oder an das Einnehmen von Medikamenten erinnert zu werden.

Tatsächlich gilt schon heute: Warum sich noch einen Termin merken, wenn das Telefon rechtzeitig zur Erinnerung bimmeln wird? Genau darin sieht der Hirnforscher Martin Korte eine Gefahr. Wir lagerten zu viel Wissen auf Smartphone und Rechner aus und versuchten nicht mehr, uns Dinge selbst zu merken. Aber gerade das sei »wichtig, um über komplexe Probleme nachdenken zu können und selber auf neue Lösungen zu kommen«, so der Braunschweiger Neurobiologe im Gespräch mit dpa über das außerordentlich wandelbare menschliche Gehirn. Die Zeitspanne, über die Menschen in der Lage seien, sich zu konzentrieren und sich zum Beispiel einen Begriff zu merken, sei bereits deutlich geschrumpft. »Früher haben sie es 15 Sekunden geschafft. Jetzt schaffen die meisten nur noch elf Sekunden«, so Korte. Zwar könne man nicht mit Sicherheit sagen, dass die digitalen Medien an dieser Entwicklung schuld seien, doch sieht er eine »überzeugende Korrelation« zu deren massenhaftem Gebrauch.

Allein schon die Nähe des eigenen Smartphones bewirke, dass Menschen bei Testfragen schlechter abschneiden, fand ein US-Wissenschaftler heraus. Das Handy nehme den Menschen in Beschlag und besetze Ressourcen im Gehirn, so dessen Erklärung. Tübinger Forscher stellten wiederum fest, dass sichtbare Links in einem Text selbst dann beim Lesen ablenken, wenn sie nicht geöffnet werden. Fragt sich also nur noch, welchen Einfluss Texte über KI in einer Zeitung haben, selbst wenn sie nicht gelesen werden. Oder wenn ausnahmsweise mal gar keiner in der Zeitung steht. Oder ... wo war ich gerade stehengeblieben?

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