nd-aktuell.de / 18.07.2019 / Politik / Seite 3

Rolle hastig besetzt

Die CDU-Vorsitzende wird Ministerin auf einem Schleuderstuhl

Uwe Kalbe

Der hauchdünne Sieg Ursula von der Leyens bei der Wahl des EU-Parlaments am Dienstagabend wird im Lager der Konservativen jetzt als Schönheitsfehler dargestellt, der nichts zu bedeuten habe, erst recht kein Menetekel sei für ihre künftige Aufgabe als EU-Kommissionspräsidentin. Annegret Kramp-Karrenbauer kann als Beispiel dienen, dass das nicht stimmt. Kramp-Karrenbauer war mit ähnlich knapper Zustimmung ins Amt der CDU-Vorsitzenden gewählt worden wie von der Leyen am Dienstag im EU-Parlament. Und inzwischen ist die anfängliche Euphorie, mit der ihre Verkündigungen über die Zukunft der CDU öffentlich aufgenommen wurde, der Ernüchterung gewichen. Wenn man Umfragewerte zum Ausweis für Karriereaussichten macht, hat Annegret Kramp-Karrenbauer ihre guten Zeiten in Berlin bereits hinter sich.

Die CDU-Chefin wurde kurz nach der Wahl von der Leyens am Dienstagabend überraschend als ihre Nachfolgerin im Bundesverteidigungsministerium bekannt gegeben. So schnell offenbar erfolgten die Entscheidungen, dass Kramp-Karrenbauer in einem vor der Sendung aufgezeichneten Interview der ZDF-Tagesthemen auf die Frage der Moderatorin noch herumdruckste, ob etwa Jens Spahn künftiger Verteidigungsminister werde. Dabei war im Augenblick der Sendung ihr Name als Nachfolgerin verkündet und in aller Munde.

Die CDU-Vorsitzende hatte zu ihrer Wahl im Dezember versprochen, die Flügel der Partei zu versöhnen, die sich in der nunmehr zwölfjährigen Regierungszeit Angela Merkels auseinandergelebt haben. Merkel hatte ihr dafür alle Freiheiten erteilt und auch nicht widersprochen, wenn ihre Nachfolgerin an der Parteispitze rabiate rechte Töne hören ließ. Besonders mit Blick auf das nahende Ende der Merkel’schen Kanzlerschaft hatte Kramp-Karrenbauer sichtbar um die Rechten unter den Konservativen geworben, hatte mit scharfen Äußerungen über ausländische Straftäter, über Russland, dessen Schiffen man ein Anlegeverbot in EU-Häfen auferlegen könnte, oder gegen gleichgeschlechtliche Ehen den rechten Flügel hofiert. Auf ihrem Witz am Politischen Aschermittwoch über Männer, die noch nicht wissen, ob sie noch stehend pinkeln dürfen oder schon sitzend müssen, rutschte sie heftig aus, weil die Kritik an genderoffenen Toiletten ihr heftig übelgenommen wurde. Und auch die Kritik am Youtuber Rezo fiel der CDU-Chefin schmerzhaft auf die Füße.

Nun wird sie Verteidigungsministerin. Welcher Teufel reitet AKK? Auch wenn ihr Namenskürzel wie ein berühmtes sowjetisches Sturmgewehr klingt, war Annegret Kramp-Karrenbauer alles andere als die geborene Anwärterin für das Amt. Im Gegenteil. Sie hat sich bisher generell Überlegungen ausdrücklich verweigert, einen Kabinettsposten zu übernehmen - noch vor zwei Wochen wies sie entsprechende Überlegungen zurück. Mit der Begründung, dass die Erneuerung der Partei für sie vordringlich sei und ihre ganze Aufmerksamkeit erfordere. Weshalb sie in den Rochaden, die im Umfeld der EU-Spitzenpostenverteilung theoretisch angestellt wurden, auch nicht vorkam.

Es gibt auch einen rationalen Grund, in der Doppelfunktion als Parteichefin und Ministerin ein Problem zu sehen. Nunmehr Mitglied der Regierung, hat Kramp-Karrenbauer trotzdem mitzuentscheiden, wenn personelle Entscheidungen in der Regierung notwendig werden. Das ist ein klassischer Zuständigkeitskonflikt. Und am gefährdetsten war bisher ausgerechnet ihre Amtsvorgängerin im Verteidigungsministerium - Ursula von der Leyen.

Beste Voraussetzungen des Scheiterns bietet der Posten auch für jeden Nachfolger. Annegret Kramp-Karrenbauer war unter anderem Innenministerin und Ministerpräsidentin im Saarland sowie Generalsekretärin der CDU, bevor sie Angela Merkel an der Spitze der CDU ablöste - um deren weichen Abgang auch als Kanzlerin vorzubereiten. So war der Plan. Weiche Landungen werden nun aber immer unwahrscheinlicher. Das legen nicht nur die Spekulationen über eine vorzeitige Amtsübergabe Merkels selbst nahe. Sondern auch der jetzige Kabinettszugang wirkt überhastet bis panisch. Getrieben möglicherweise von Kramp-Karrenbauers Machtambitionen selbst. Man weiß nicht, mit welchen Gedanken sie den Höhenflügen ihres Konkurrenten Jens Spahn an der Spitze des Gesundheitsministeriums folgte, der einem politischen Vorstoß in der Regel nach kurzer Zeit den nächsten folgen lässt.

Das Verteidigungsministerium ist aber nicht der Ort, an dem man unbehelligt an seiner Karriere basteln kann. Ursula von der Leyen hinterlässt einen Berg offener Fragen und Probleme, abgesehen von der strategischen Ausrichtung des Ministeriums und der Probleme in der Inneren Führung, über die die scheidende Ministerin beinahe gestolpert war, als sie die rechtsextremistischen Trends in der Truppe zum Thema machte. Zwar wird Kramp-Karrenbauer künftig nicht nur an der Stimmung in der CDU gemessen werden. Während sie sich damit aus einer Schusslinie bringt, gerät sie aber zugleich in eine neue.

Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der LINKEN im Bundestag, Jan Korte, warf der CDU angesichts der Personalie vor, Ministerien zu Verschiebebahnhöfen zu machen, um die »schrägen Personalprobleme der Union zu regeln«. Man müsse offenbar »mit dem Verteidigungsministerium und der Thematik niemals etwas zu tun gehabt haben, um Verteidigungsministerin zu werden«. Der Vorsitzende der Linkspartei Bernd Riexinger erinnerte alarmiert wie die SPD-Linke und Sprecherin der DL21, Hilde Mattheis, auf Twitter an ein Interview, in dem Kramp-Karrenbauer auf Nachfrage einen Einsatz deutscher Bodentruppen in Syrien nicht ausgeschlossen hatte.

Nichts könne Merkels Geringschätzung der Bundeswehr klarer ausdrücken als diese Personalie, meinte FDP-Vizefraktionschef Alexander Graf Lambsdorff von der anderen Seite der politischen Skala. Kramp-Karrenbauer sei »eine Zumutung für die Truppe und für unsere NATO-Partner«. Die Grünen forderten in Person ihrer Expertin Agnieszka Brugger, die neue Ministerin solle mehr auf die Bedürfnisse der »Mitglieder der Bundeswehr« eingehen. Das wenigstens könnte klappen. Und zur Annäherung von Grünen und CDU beitragen. Auch Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich bereits mehrfach positiv über die Möglichkeit einer Regierungszusammenarbeit geäußert. Man ahnt im Hintergrund Angela Merkels beifälliges Schmunzeln.