nd-aktuell.de / 25.07.2019 / Kommentare / Seite 10

Linker Umbau statt rechter Neubau

Alexander Ulrich meint: Wenn die grüne Transformation unserer Industrie nicht sozial abläuft, gewinnen die Rechten

Alexander Ulrich

Große Teile der deutschen Wirtschaft stehen am Beginn eines großen Umbruchs. Die Autokonzerne liefern sich einen hektischen Wettlauf bei der Umrüstung auf Elektromobilität. Diesen Wandel müssen wir von links gestalten. Die Entstehung der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich hat gezeigt, welcher soziale Sprengstoff in einer Klimapolitik steckt, die nicht sozial abgefedert wird. Der Brexit gibt einen Einblick in die Dynamiken, die ausgelöst werden, wenn alte Industriestandorte verfallen gelassen werden. Ein Blick in die Lausitz oder ins Ruhrgebiet zeigt, was in Deutschland auf dem Spiel steht.

Die Mobilitäts- und Klimawende sowie die Digitalisierung bedeuten für Millionen Industriebeschäftigte, allen voran an den Kohle- und Automobilstandorten Verunsicherung. Diese Menschen müssen eine solide Zukunftsperspektive erhalten. Sonst bekommen wir bestenfalls große Sozialproteste wie in Frankreich und schlechtestenfalls neue Höhenflüge der AfD, die den Klimawandel leugnet und den Menschen vormacht, der Wandel könne abgeblasen werden und alles bleibe beim Alten.

Bestehende Industriestandorte müssen deswegen umgebaut und die dort Beschäftigten für die neuen Anforderungen der grünen Arbeitswelt qualifiziert werden. Wir dürfen den Konzernen nicht erlauben, die alten Standorte immer weiter runterzufahren und irgendwo auf der grünen Wiese neue Strukturen aus dem Boden zu stampfen. Die vom Wandel betroffenen Regionen müssen dadurch eine Perspektive erhalten, dass neue Industriestrukturen gezielt angesiedelt werden, etwa eine Batteriezellenproduktion, für deren Produkte es im Rahmen der Elektromobilität viel Nachfrage geben wird.

Auch Forschungszentren und Businessparks mit guten Bedingungen für Start-Ups aus der Digitalbranche könnten gezielt dort aufgebaut werden, wo Regionen zu veröden drohen. Kultur- und Nachbarschaftsinitiativen zu fördern schafft die nötigen Netzwerke und macht das Leben in den Regionen lebenswert. Es darf auch nicht zulässig sein, im Rahmen des Wandels solide Arbeitsverhältnisse mit Tarifbindung durch allerlei prekäre Beschäftigungsformen wie Leih- und Zeitarbeit zu ersetzen. Stattdessen sollte der Strukturwandel in den betroffenen Betrieben und Regionen arbeitsmarktpolitisch durch ein Transformationskurzarbeitergeld flankiert werden. So kann der geringere Bedarf an Beschäftigung während der Umbaumaßnahmen von der Bundesagentur für Arbeit ausgeglichen werden - ohne Entlassungen.

Die Automobilindustrie ist mit hunderttausenden guten Arbeitsplätzen und einem hohen Anteil an der Wertschöpfung eine Schlüsselindustrie in Deutschland. Doch durch ihre enge Verknüpfung mit dem deutschen Exportmodell und den zunehmenden Umweltproblemen, die die Automobilität mit sich bringen, ist der industriepolitische Handlungsdruck hier besonders hoch. Nur durch eine Erneuerung der industriellen Basis zur Produktion von E-Autos und den Aufbau von Zell- und Batterieproduktionsanlagen ist der Erhalt von Wertschöpfung und Beschäftigung mittelfristig gesichert. Neben kleineren und leichteren Autos müssen mittelgroße Fahrzeuge für Sammeltaxen und Kleinbusse für den Stadtrand konzipiert werden. Die Verkehrswende wird für eine hohe Nachfrage nach Linienbussen und Eisenbahnwaggons sorgen.

Der Umbau der Automobilindustrie hin zu einer Mobilitätsindustrie kann nur mit einer Demokratisierung der Wirtschaft durch öffentliche Beteiligung und den Ausbau betrieblicher Mitbestimmung gelingen. Gegen die Belegschaften kann kein Wandel gelingen. Die 50 000 Metaller, die Ende Juni in Berlin für eine sozial-ökologische Gestaltung des Umbaus auf die Straße gegangen sind, haben das deutlich gezeigt.

Der sozial-ökologische Wandel in Industrie und Verkehr ist eine Mammutaufgabe. Allein für die Finanzierung der Verkehrswende müssen bis 2030 schätzungsweise 250 Milliarden Euro aufgewandt werden. Es muss ein Transformationsfonds geschaffen werden. Zudem müssen auch die Unternehmen ihren Beitrag leisten, die eigentlich den Wandel nutzen wollen, um Arbeitnehmerrechte zu schleifen. Für die grüne Transformation brauchen wir zudem eine Abkehr von der schädlichen Haushaltspolitik der »schwarzen Null«. Eine offensive Investitionspolitik könnte über grüne Anleihen der Europäischen Investitionsbank oder Kredite und Beteiligungen der KfW angestoßen werden.