nd-aktuell.de / 30.07.2019 / Berlin / Seite 9

Schwere Vorwürfe gegen Beamte

Recherchen bezweifeln offizielle Darstellung der Todesumstände von Hussam Hussein

Claudia Krieg

Trug Hussam Hussein ein Messer, als er von hinten von drei Polizeibeamten erschossen wurde? War die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen die Beamten wegen Nothilfe rechtmäßig?

»Die Begründung Nothilfe ist fernliegend. Zwei Polizeibeamte haben ausgesagt, dass Herr Hussein unbewaffnet war. Was wir wissen, kann niemals zur Einstellung des Verfahrens führen«, sagt der Berliner Rechtsanwalt Ulrich von Klinggräff, der die Ehefrau von Hussein, Zaman Gate, seit dem Tod ihres Mannes vertritt, am Montag. »Es muss endlich eine Anklage und eine öffentliche Hauptverhandlung geben«, so Klinggräff gegenüber dem »nd«.

Angesichts der Debatte um weitaus höhere Fallzahlen von Polizeigewalt sei der Fall nicht nur besonders dramatisch, sondern auch deshalb besonders, weil er es in die Öffentlichkeit geschafft habe, sagt Klinggräff. Am 27. September 2016 läuft der damals

29-jährige Hussam Hussein in der Moabiter Notunterkunft für Geflüchtete, »Ballon« in der Kruppstraße, auf einen Bewohner der Unterkunft zu, der Husseins sechsjährige Tochter sexuell belästigt hatte. Der Mann wurde gerade verhaftet, weil andere Mitbewohner die Polizei gerufen hatten. 30 Polizeibeamt*innen stehen auf dem Gelände verteilt. In diesem Moment treffen Hussein drei Kugeln aus drei verschiedenen Polizeiwaffen in den Rücken, eine davon trifft ihn tödlich. Laut Polizeibericht saß der Verhaftete bereits im Polizeiauto, Hussein soll mit einem Küchenmesser bewaffnet auf diesen zugelaufen sein. Man habe auf Hussein geschossen, um einen anderen Menschen zu schützen.

Im anschließenden Verfahren gegen die drei Polizeibeamten teilt die Berliner Staatsanwaltschaft als ermittelnde Behörde diese Ansicht: das Verfahren wird im Mai 2017 wegen Notwehr und Nothilfe eingestellt. Bereits Ende Mai 2018 weist das Kammergericht die Staatsanwaltschaft Berlin an, die Ermittlungen wieder aufzunehmen. In der Begründung heißt es dort unter anderem: »Die Aussagen der Beschuldigten und der Zeugen weichen in wesentlichen Punkten voneinander ab. Es steht nicht fest, ob Herr Hussein zum Tatzeitpunkt überhaupt mit einem Messer bewaffnet war.«

Dies scheint sich durch die Ergebnisse einer Recherche des ARD-Politikmagazin Kontraste zu bestätigen: »Hussein hatte kein Messer, das schwöre ich, ich habe kein Messer gesehen und ich stand ja neben ihm. Niemand von uns hat ein Messer gesehen«, sagt ein Zeuge des Polizeieinsatzes im Interview. Ein Polizeibeamter, der an dem Geschehen selbst beteiligt war, beschreibt es ähnlich: »Meine Kollegen und ich glauben, nein, wir wissen, dass wir alle kein Messer gesehen haben. Aus unserer Sicht war der Mann nicht bewaffnet.« Ein Klageerzwingungsverfahren soll nun Aufschluss schaffen.