nd-aktuell.de / 29.08.2019 / Politik / Seite 2

Mehrheit gegen den No-Deal-Brexit

Im britischen Unterhaus stößt ein möglicher EU-Austritt ohne Abkommen auf keine große Begeisterung

Aert van Riel

Premierminister Boris Johnson verfügt im britischen Unterhaus theoretisch nur über eine sehr dünne Mehrheit. Gemeinsam mit der protestantischen und unionistischen DUP aus Nordirland kommen seine konservativen Tories dort auf 320 Sitze. Die gesamte Opposition stellt 319 Abgeordnete. Allerdings muss auch bedacht werden, dass Johnson in der Brexit-Frage[1] nicht seine gesamte Fraktion hinter sich hat. Diverse Parlamentarier der Tories lehnen einen Austritt aus der Europäischen Union ohne Abkommen, den der Premier avisiert, wenn es nicht zu einer Einigung mit der EU kommen sollte, vehement ab.

Die mit Abstand größte Oppositionsfraktion stellt die sozialdemokratische Labour-Partei mit 245 Abgeordneten. Deren Chef Jeremy Corbyn hat deswegen auch seinen Anspruch erklärt, Johnson durch ein Misstrauensvotum zu stürzen[2] und für eine Übergangszeit selbst das Amt des Regierungschefs zu übernehmen. Doch dafür braucht er die Unterstützung von weiteren Oppositionsparteien und von Rebellen bei den Tories.

Zum Teil haben sich diese bereits von der konservativen Partei verabschiedet. Allerdings hat auch Corbyn bei den Sozialdemokraten eine Reihe von Unterstützern verloren. So sitzt im Parlament die »Independent Group for Change«. Die Partei war zunächst als Gruppe von elf Parlamentariern entstanden, welche die Tories beziehungsweise Labour verlassen hatten. Sie bezeichnen sich selber als EU-freundlich. Doch schon nach kurzer Zeit kam es zu neuen Spaltungen. Einige Abgeordnete traten im Sommer aus der Partei aus. Vier von ihnen gründeten im Juli 2019 im Unterhaus die Gruppe »The Independents«. Zwei schlossen sich den Liberaldemokraten an. Deswegen verfügt die »Independent Group for Change« nur noch über fünf Parlamentarier.

Hinzu kommen noch einige weitere kleinere Parteien und Gruppen: die walisischen Sozialdemokraten, die Grünen und einige parteilose Parlamentarier.

Von größerer Bedeutung sind im Parlament die Liberaldemokraten. Sie sind mit immerhin 14 Abgeordneten vertreten und wollen einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU grundsätzlich verhindern. Dafür soll aus ihrer Sicht ein zweites Referendum abgehalten werden. Am Dienstag hatte sich Corbyn mit anderen Gegnern eines No-Deal-Brexits darauf verständigt, zu versuchen, ein Ausscheiden ohne Deal per Gesetz zu verhindern. Allerdings scheuen die Liberaldemokraten bisher davor zurück, Corbyn als möglichen neuen Premierminister zu unterstützen.

In den Umfragen haben die Liberaldemokraten zuletzt bei Unterstützern der EU deutlich hinzugewonnen. Sie liegen bei 18 Prozent und damit sieben Prozentpunkte hinter Labour. Seit der Wahl von Boris Johnson zum Parteichef und seiner Ernennung zum Premierminister sind die Tories im Aufwind. Sie gewinnen offenbar Wähler von der Brexit-Partei zurück, weil Johnson in Sachen EU-Austritt einen harten Kurs fährt. Die Brexit-Partei von Nigel Farage ist von 14 auf 12 Prozent abgerutscht. Die Konservativen führen derzeit mit Werten um die 30 Prozent. Wenn Johnson wirklich Neuwahlen anstrebt, wird er die Beliebtheit seiner Partei weiter steigern müssen oder sich Partner suchen, um an der Macht zu bleiben.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1125001.boris-johnson-ein-angriff-auf-die-demokratie.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1124983.boris-johnson-londons-despot.html