nd-aktuell.de / 04.09.2019 / Politik / Seite 1

Johnson verliert Mehrheit im Unterhaus

Rebell bei britischen Tories wechselt die Parlamentsfraktion / Opposition will Brexit-Verschiebung

Aert van Riel

Die Regierungsfraktion von Boris Johnson hat keine Mehrheit mehr im Parlament. Am Dienstag, kurz bevor das Unterhaus erstmals nach der Sommerpause wieder zusammentrat, verkündete der Abgeordnete Phillip Lee seinen Übertritt von den konservativen Tories zu den Liberaldemokraten, die gegen einen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs sind.

Dieser Schritt erfolgte vor einem geplanten wichtigen Votum. Es wurde erwartet, dass die Abgeordneten in der Nacht zum Mittwoch über einen Dringlichkeitsantrag von Opposition und Teilen der Tories, die sich gegen Johnson positionieren, abstimmen. Sie wollten mithilfe einer Dringlichkeitsdebatte[1] die Tagesordnung des Parlaments ändern, um am Mittwoch ihren Gesetzentwurf gegen einen Brexit ohne Deal mit der EU einbringen zu können. Als weitere Option galt ein Misstrauensvotum gegen den Premier. Nach dem Entwurf soll die Londoner Regierung bei der EU beantragen, dass der Brexit ein weiteres Mal auf den 31. Januar 2020 verschoben wird. Die 27 EU-Staaten müssten diesem Antrag einstimmig zustimmen.

Johnson hatte hingegen bekräftigt, dass das Vereinigte Königreich Ende Oktober aus der EU austreten solle. Notfalls will der rechtskonservative Politiker seine Pläne auch ohne ein Abkommen mit dem Staatenverbund durchsetzen, obwohl dann mit negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen für das Vereinigte Königreich zu rechnen ist.

Die Tories hatten vor dem Übertritt von Lee gemeinsam mit der nordirischen DUP nur eine Stimme Mehrheit im Parlament. Johnson hat aber noch mehr interne Gegner. Der Premier drohte ihnen nun mit einem Rauswurf aus der Fraktion und einem Bann für die nächste Wahl, wenn sie gegen ihn votieren sollten. Zudem stellte der Regierungschef vorgezogene Neuwahlen in Aussicht, die am 14. Oktober stattfinden könnten, falls seine Brexit-Pläne vom Parlament nicht mitgetragen werden. Die Regierung braucht für Neuwahlen die Unterstützung von zwei Dritteln der Abgeordneten.

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Labour-Chef Jeremy Corbyn rief Gegner eines No-Deal-Brexit zur Zusammenarbeit im Parlament auf. »Diese Woche könnte unsere letzte Chance sein«, sagte Corbyn. Hintergrund ist, dass Johnson das Unterhaus bald in einen fünfwöchigen Zwangsurlaub[3] schicken will. Dieser soll nach den parlamentarischen Debatten am 9. September beginnen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Johnson den möglichen Termin für eine Neuwahl nach hinten verschieben würde, während das Parlament pausiert. Dann könnte die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs automatisch am 31. Oktober enden und Johnson hätte sein Versprechen eingelöst.

Gegen Johnsons Angriff auf das Parlament und die britische Demokratie waren am Dienstag noch drei verschiedene juristische Verfahren anhängig. Mit Agenturen

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1125243.wettlauf-gegen-die-zeit.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1125232.brexit-allerhand-ferienjobs.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1125001.boris-johnson-ein-angriff-auf-die-demokratie.html