nd-aktuell.de / 07.09.2019 / Kommentare / Seite 8

Im Sinne der Konzernbosse

Rolf Geffken über die Proteste in Hongkong und das Auslieferungsabkommen mit China

Rolf Geffken

Wer die über den Bildschirm flimmernden Bilder der »Massen« auf Hongkonger Straßen zum Maßstab für die politische Einschätzung der Hongkonger »Demokratiebewegung« nimmt, ist schlecht beraten. Bilder ersetzen – abgesehen von ihrer Manipulierbarkeit – keine Analysen. Allein die jetzt von den selbst ernannten Protagonisten der »Bewegung« erfolgte Ablehnung der Rücknahme des Auslieferungsgesetzes durch die Regierung in Hongkong sollte bereits zu denken geben. Was angeblicher oder wirklicher Anlass der Demonstrationen war, ist entfallen, wird nun aber ohne jede Debatte von einigen wenigen Sprechern als nicht mehr »ausreichend« angesehen. Zudem wird zu neuen »Kundgebungen« aufgerufen. Dabei soll einmal davon abgesehen werden, dass jetzt der Rücktritt derselben Regierungschefin verlangt wird, an die man zuvor die eigenen Forderungen gerichtet hatte.

Es lohnt sich, an die Historie und den Hintergrund des Auslieferungsgesetzes zu erinnern: Auslieferungsabkommen zwischen Staaten (hier sogar zwischen einem Teilgebiet eines Staates und dem Zentralstaat) sind normal, weil es sonst Rechtsbrechern leicht gemacht würde, durch bloßen Ortswechsel sich der Strafverfolgung zu entziehen. In der Tat war Anlass des Gesetzes ein konkreter Fall: Als ein Hongkonger seine Verlobte in Taiwan ermordete und unerkannt nach Hongkong zurückflog entschied die Regierung, dass die Auslieferung von Kriminellen auch nach China, Macau und Taiwan möglich sein sollte. Voraussetzung: Die Tat sollte gleichermaßen in Hongkong und in den anderen Territorien strafbar sein.

Was ist daran ungewöhnlich? Tatsache ist, dass viele Angehörige der Hongkonger Oberschicht dieses Gesetz nicht wollen. Sie befürworten den Status quo. Das Gesetz umfasst auch die Möglichkeit der Auslieferung für (gerade in China und Hongkong sehr relvante) Delikte wie Korruption, Betrug, Steuerhinterziehung und sonstige Wirtschaftsdelikte. Hongkong ist seit langem ein Eldorado für Geldwäscher und Steuerhinterzieher. Viele reiche Festlandchinesen haben ihr oft durch dunkle Geschäfte erworbenes Geld in Hongkong in Sicherheit gebracht. Während Hongkong Straftäter weiter an alle anderen Drittstaaten ausliefern kann (auch an die »Rechtsstaaten« Türkei oder Saudi-Arabien), bleiben chinesische Territorien davon ausgenommen. Sieht so die angeblich notwendige Solidarität bei der Bekämpfung von Korruption aus?

Bemerkenswert ist, dass sich auch die US-amerikanische Handelskammer gegen das Gesetz ausgesprochen hatte. Sicherlich nicht deshalb, weil diese die Auslieferung von Menschenrechtsaktivisten befürchtet. Die systematische Einmischung US-amerikanischer Institutionen, auch des CIA, in innerchinesische Angelegenheiten datiert nicht erst seit der Amtsübernahme Donald Trumps. Seit vielen Jahren versuchen Institutionen der USA, beispielsweise die Ford Foundation, auf innerchinesische Konflikte Einfluss zu nehmen.

Ein Beispiel: Als der Autor dieser Zeilen in »neuen deutschland« vor einigen Jahren in einem Beitrag zu China darauf hingewiesen hatte, dass der Prozess der Industrialisierung in Europa weit länger gedauert habe als in China und begleitet gewesen sei von Kriegen und vielen Menschenrechtsverletzungen, tauchte in einem Blog des Beijing-kritischen »Labour Bulletins« in Hongkong der Kommentar eines mit der Plattform verbundenen US-Bürgers auf: »This guy (der Autor!) is praising the Tianmen Masscre« (Dieser Typ verherrlicht das Massaker auf dem Tianmen-Platz). Der »nd«-Artikel war gemeint. Beim Umgang mit Menschen, die nur ansatzweise »Verständnis« für Festandschina zeigen, wird zugeschlagen. Egal wen es trifft. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Und dass obwohl kurze Zeit später die Regierung in Peking die Website desselben Verfassers sperrte und die Sperre sogar Gegenstand einer Anfrage des damaligen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Neskovic (LINKE) war.

Als der Autor im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes zum Arbeitsrecht in Hongkong Gelegenheit hatte, an zahlreichen Verhandlungen am dortigen Arbeitsgericht teilzunehmen, bewunderte er die Fairness, mit der die Richter betroffene Arbeitsmigranten behandelten. Er hätte sich solche Fairness auch bei deutschen Arbeitsgerichten gewünscht. Es besteht kein Zweifel, dass die rechtsstaatlichen Strukturen in Hongkong durchaus vorbildlich für Festlandschina sind.

Die Kehrseite ist, dass das Rechtssystem selbst alles andere als vorbildlich ist. Das Arbeitsrecht ist eines der arbeitnehmerfeindlichsten der Welt. Es besteht eigentlich nur aus einer brutalen Vertragsfreiheit im Interesse der Unternehmer. Sieben-Tage-Wochen gelten als normal. Für wenige Quadratmeter große Verschläge zahlen die arbeitenden Menschen oft mehr, als sie in einem Monat verdienen.

Es war der Milliardär Li Ka Shing, der als Vertreter der Hafenunternehmen den Streik der Hafenarbeiter 2013 mit dem Ziel bekämpfte, die Existenz einer ganzen Gewerkschaft zu vernichten. Dass den Arbeitern 15 Jahre lang die Löhne nicht erhöht wurden und den Containerbrückenfahrern verboten war, während der Arbeit auf Toilette zu gehen, interessierte damals keinen der westlichen Medienvertreter. Heute aber unterstützen dieser und andere Tycoons den »Kampf« gegen das Auslieferungsgesetz, um ihre eigenen Machenschaften fortsetzen zu können. Protagonisten der »Bewegung« fordern auf Bannern US-Präsident Trump auf, Hongkong »zu befreien«. Der Ausschuss für Vereinigungsfreiheit der Internationalen Arbeitsorganisation hatte wiederholt Hongkong aufgefordert, die völkerrechtlich verbindlichen Festlegungen über Kollektivverhandlungen zu erfüllen - ohne Erfolg. Die Tycoons haben an solchen Menschenrechten kein Interesse. Und die Protagonisten der Demokratiebewegung haben sich diese auch nicht zu eigen gemacht.

Die Menschen in Hongkong haben mit Recht Angst um ihre Zukunft. Aber es ist unverkennbar, in welche Richtung Interessierte diese Angst zu lenken versuchen.