nd-aktuell.de / 09.09.2019 / Politik / Seite 3

Die wahre Utopie

Domenico Lucano musste für ein Ideal bezahlen

Elisabeth Voß

Domenico »Mimmo« Lucano, geboren 1958 in Melito di Porto Salvo in Kalabrien, aufgewachsen in Riace, arbeitete als Lehrer und war von 2004 bis Oktober 2018 Bürgermeister von Riace. Für sein Engagement und die Aufnahme von Flüchtlingen erhielt er weltweite Aufmerksamkeit und wurde vielfach geehrt. Wim Wenders drehte 2010 den Kurzfilm »Il Volo« (Der Flug) über sein Dorf und sagte im gleichen Jahr anlässlich einer Veranstaltung zum 20. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin: »Die wahre Utopie ist nicht der Fall der Berliner Mauer, sondern das Zusammenleben der Menschen in Riace.« Ebenfalls 2010 wurde Lucano mit dem dritten Platz des World-Mayor-Awards als einer der besten Bürgermeister weltweit geehrt. Das US-amerikanische Magazin Fortune nahm ihn 2016 in die Liste der 50 »World’s Greatest Leaders« auf, zusammen mit Angela Merkel und Papst Franziskus. Im Februar 2017 wurde ihm in der Semperoper der Dresden-Preis überreicht, mit dem »die Mutigen, die Toleranten, die Mitmenschlichen aus aller Welt ausgezeichnet werden«.

Im Gespräch mit Maura Crudeli von der Initiative für einen Nobelpreis für Riace weist Domenico Lucano darauf hin, dass es heute andere Methoden gäbe, jemanden kalt zu stellen, als ihn umzubringen: »Sie machen dich nicht mehr zum Helden. Die Mafia heute braucht soziale Zustimmung, sie wollen nicht brutal erscheinen, sie können auch eine ethische Sprache sprechen, aber sie haben eine andere Methode.« Dies gelte auch für die »dunkle« Macht, die Herrschaft durchsetzen wolle. Heute sei die Strategie eher, jemanden schlecht zu machen und zu beschmutzen. »Ich musste für ein Ideal bezahlen, das einer ganzen Generation gehörte. Ich habe dieses durch Zufall in Gang gesetzt, ich habe in einem kleinen Ort die Möglichkeit gehabt, die Linke etwas werden zu lassen, diese utopische Linke, sie einen entscheidenden Teil im Prozess werden zu lassen. Und ich will nicht, dass das beschmutzt wird, denn das ist nicht gerecht. Ich wünsche mir, dass ein Lichtschimmer auf all diesen Geschichten bleiben wird.«