nd-aktuell.de / 26.09.2019 / Sport / Seite 20

Vereint gegen Nazis

Fußballfans in den USA dürfen nach Protesten gegen die Liga wieder antifaschistische Fahnen ins Stadion tragen

Oliver Kern

Bailey Browns Stimme klingt kratzig am Telefon. Man hört ihr an, dass die vergangenen sechs Tage zwischen dem Lehreralltag an ihrer Schule in Dallas, einer Reise zu Gesprächen mit Funktionären der Major League Soccer (MLS) in Las Vegas, diversen Telefonkonferenzen und - nicht zu vergessen - den Spielen ihres geliebten FC Dallas ziemlich anstrengend gewesen sein müssen. Doch es hat sich offenbar gelohnt: »Wir haben einen großen Sieg davongetragen«, sagt die Präsidentin der Fanvertretung Independent Supporters Council am Mittwochmorgen gegenüber »nd«.

Mit dem Sieg meint sie keinen sportlichen ihres Vereins, sondern einen im Streit der US-Fußballanhänger mit der MLS. Der hatte sich am Logo der Iron Front aufgeladen, das wiederum auf jenes der paramilitärischen, antifaschistischen Gruppe Eiserne Front aus der Weimarer Republik zurückgeht. Das etwas abgewandelte Logo mit drei von rechts oben nach links unten zeigenden parallelen Pfeilen war von der MLS offiziell in ihren Stadien verboten worden. Doch seit Dienstag ist dieser Bann zumindest für den Rest der Spielzeit 2019 wieder aufgehoben.

Wie das Zeichen überhaupt in den US-Fußball einzog, ist eine längere Geschichte. Sie begann wohl im Mai 2017, als ein Neonazi zwei Menschen in Portland ermordete, die sich schützend vor zwei von ihm angegriffene Musliminnen gestellt hatten. Als Reaktion darauf suchte ein Anhänger der Portland Timbers, der zur Fangruppierung Timbers Army gehört, nach einem Symbol für seinen antifaschistischen Protest. Er fand die drei Pfeile der Eisernen Front, die auch von der amerikanischen Antifa-Bewegung genutzt werden und trug sie auf einer Flagge ins Stadion. »Er wollte zeigen, dass dieser Hass keinen Platz im Stadion hat«, meint Brown.

Mit der Zeit schlossen sich ihm andere Fans in Portland an, danach auch einige im recht nahen Seattle, auch wenn sich die Vereine und ihre Anhänger sonst eher ablehnend gegenüberstehen. Im Großen und Ganzen blieb es aber ein regionales Phänomen im Nordwesten des Landes. Das änderte sich mit dem Start der aktuellen Saison, als einige Klubs begannen, Fans mit dem Iron-Front-Logo aus den Stadien zu werfen. »Manche wurden nur gebeten, die Arena zu verlassen, andere wurden sogar mit einem Drei-Spiele-Bann belegt und durften erst zurück, wenn sie einen Kurs belegt hatten, der 250 Dollar kostete«, berichtet Brown.

Plötzlich solidarisierten sich Anhänger in Atlanta, Los Angeles und Minnesota - und wurden teilweise auch der Tribünen verwiesen. Höhepunkt war eine Partie der Seattle Sounders Mitte September, bei dem eine ganze Fangruppe aus Protest das Stadion verließ, nachdem ihr Anführer rausgeschmissen worden war.

Fußballfans in den USA sind politisch progressiver und linker als im Rest der Welt. »Das liegt sicher daran, dass das Publikum hier jünger ist. Und die Jugend in den USA ist in der Mehrheit liberaler«, sagt Brown. Das bedeutet aber nicht, dass sie die Iron-Front-Flagge für ein politisches Statement hält. Vielmehr sei es wie die Regenbogenfahne ein Zeichen für die Inklusion einer schützenswerten Minderheit.

Jenen wenigen Zuschauern, die in den drei Pfeilen eine politische Botschaft erkennen, die sie im angeblich unpolitischen Fußballstadion nicht sehen wollten, entgegnet Brown: »Das ist keine Sache des politischen Diskurses, sondern eine Sache der Menschenrechte. Auch wir wollen keine Parteislogans beim Spiel, aber das ist etwas anderes.« Sowohl die Liga, als auch die Anhänger legten viel Wert darauf, dass alle Menschen ins Stadion kommen können, egal welcher Abstammung, sexueller oder politischer Orientierung sie auch sein mögen.

Daher reagierten die Fans auch besonders erbost auf das 2019 eingeführte Verbot der Iron-Front-Flagge mit der Begründung, politische Botschaften seien im Fußballstadion unerwünscht. Nun mag man darüber diskutieren, wie unpolitisch ein antifaschistisches Banner sein kann, aber Fakt ist, dass sich die MLS offensichtlich verkalkuliert und den Protest der Anhänger unterschätzt hatte. »Jetzt haben sie erkannt, dass sich etwas ändern muss, und dass die Fans gehört werden wollen«, berichtet Brown von den zwei Verhandlungen in den vergangenen Tagen.

Am Ende stand die Einigung, dass der Verhaltenskodex für Fans vor der Saison 2020 überarbeitet werden soll. Und laut einem Statement der MLS dürfen die Fans diesmal daran mitschreiben. Zudem werden Experten, Aktivisten und Anwälte hinzugezogen, um auszuloten, was politisch ist, und was dagegen lediglich der Inklusion und Diversität dient und daher zugelassen werden sollte. Bis dahin soll es keine weiteren Verbannungen des Iron-Front-Logos und seiner Träger geben. »Ich bin optimistisch, dass das auch 2020 so bleiben wird«, sagt Bailey Brown.

Für die Sportlehrerin aus Dallas war es ein doppelter Sieg. Die Fans setzten nicht nur ihre Forderungen durch, erstmals zogen untereinander verfeindete Gruppen auch gemeinsam an einem Strang. »Es war großartig zu sehen, wie sie plötzlich miteinander kommuniziert und zusammengearbeitet haben. Diese gute Sache hat sie alle vereint.«