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Triumph und Last für den Ex-Kanzler

Kurz’ ÖVP kann aus drei möglichen Koalitionspartnern wählen - oder eine Minderheitsregierung bilden

  • Michael Bonvalot, Wien
  • Lesedauer: 4 Min.

»Kanzler Kurz! Kanzler Kurz« tönten die begeisterten Sprechchöre am Sonntagabend immer wieder durch den Saal des noblen Kursalon Hübner in der Wiener Innenstadt. Und tatsächlich wurde die vorgezogene Nationalratswahl in Österreich zu einem Triumph für Ex-Kanzler Sebastian Kurz und seine konservative ÖVP.

Nach Prognosen kommt die ÖVP auf 37,1 Prozent. Das ist ein Plus von über fünf Prozent, das vor allem von bisherigen Wählern der FPÖ gekommen ist. Die Freiheitlichen haben fast zehn Prozent verloren und erhalten nur noch 16,6 Prozent - das ist allerdings immer noch eines der besten Ergebnisse für eine extrem rechte Partei in Westeuropa.

Der Wahlabend hat bestätigt, was sich bereits seit Längerem abzeichnet: Immer mehr Rechtswähler trauen Kurz die Rolle des neuen Führers offenbar eher zu als dem FPÖ-Spitzenpersonal. Stramm rechts, aber stabiler und ohne störende Nazi-Skandale. Dennoch haben ÖVP und FPÖ zusammen im Vergleich zur Wahl 2017 immerhin rund 4 Prozent verloren.

Das Ibiza-Video dürfte die FPÖ dabei gar nicht so sehr getroffen haben, auch danach lag die Partei in Umfragen stabil bei rund 20 Prozent. Entscheidender könnte ein Spesenskandal um Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache gewesen sein, der kurz vor der Wahl bekannt wurde. Rund 42 000 Euro sollen Strache und seine Frau monatlich zur Verfügung gehabt haben, es gibt Vorwürfe zu gefälschten Abrechnungen. Viele FPÖ-Wähler dürften danach schlicht zu Hause geblieben sein, wie auch die Wahlbeteiligung zeigt, die um rund fünf Prozent gesunken ist.

Die großen Gewinner der Wahl sind die Grünen. Nach ihrem Absturz bei der Wahl 2017 kehren sie nun mit einem fulminanten Ergebnis in den Nationalrat zurück. 14 Prozent werden es voraussichtlich - ein Plus von mehr als zehn Prozent. Die österreichischen Grünen werden damit, wie schon in der Vergangenheit, die stärkste grüne Partei in Europa. Ein Grund für diese Sonderstellung ist, dass es in Österreich keine parlamentarisch verankerte linke Partei, also keine linke Wahlalternative gibt.

Die Partei Jetzt - Liste Pilz hingegen, eine Abspaltung der Grünen, die 2017 den Einzug ins Parlament geschafft hatte, ist wieder draußen und dürfte nun zerbröseln. Zulegen konnten dagegen die liberalen Neos.

Zweite große Wahlverliererin neben der FPÖ ist die Sozialdemokratie. Für sie brachte der Wahlabend ein Minus von 5,1 Prozent. Bei den Unter-29-Jährigen hat die SPÖ gerade einmal noch 14 Prozent - gegenüber 27 Prozent bei den Grünen. Die vielen jungen Wähler sind auch ein Hinweis darauf, wie wichtig die Klimaproteste für den grünen Wahlerfolg waren.

Die Sozialdemokratie hingegen versuchte bei dieser Wahl, es allen recht zu machen: Mindestlöhne und »Menschlichkeit siegt« als Wahlslogans auf der einen Seite, Forderungen nach noch schärferer Abschottung gegen geflüchtete Menschen auf der anderen. Zum Erfolgsrezept wurde diese unklare Agenda nicht. Wer rechts wählen wollte, hatte die ÖVP. Wer fortschrittlichere Inhalte suchte, wechselte zu den Grünen. Keine Rolle konnten dagegen die beiden linken Kandidaturen spielen: Die KPÖ kommt voraussichtlich auf 0,7 Prozent, der Wandel auf 0,4 Prozent.

Eine schnelle Regierungsbildung ist nicht zu erwarten. Spekuliert wird über eine Koalition der ÖVP mit den Grünen, Teile der Grünen wären dazu auch bereit. Doch vor allem für die mächtige Wiener Landesgruppe mit ihrem starken linken Flügel könnte das zur Zerreißprobe werden.

Eine Koalition mit der Sozialdemokratie wäre vor allem in der ÖVP äußerst unbeliebt. Die SPÖ hingegen wäre durchaus bereit. »Opposition ist Mist«, hatte Parteichefin Pamela Rendi-Wagner vor der Wahl den SPD-Politiker Franz Müntefering zitiert. Ein Regierungseintritt würde den Abstieg der SPÖ allerdings vermutlich weiter beschleunigen.

Die FPÖ hat sich eigentlich bereits auf die Opposition festgelegt. Generalsekretär Harald Vilimsky sieht »keinen Auftrag« für eine Fortsetzung der Koalition. Andere Parteigranden äußern sich ähnlich. Gleichzeitig ist offen, ob die FPÖ innerparteilich stabil bleibt oder ob Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache sich abspaltet. Dennoch ist auch eine weitere ÖVP-FPÖ-Koalition nicht auszuschließen.

Schließlich steht die Variante einer Minderheitsregierung im Raum. Kurz könnte sich so einmal progressiver geben, einmal reaktionär. Diese Variante wäre allerdings enorm instabil - und ein neuer vorgezogener Wahlgang wäre wohl nur eine Frage der Zeit.

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