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Sekt hat das Sagen

Jörg Fausers Kolumnen für das Berliner Stadtmagazin «Tip» sind politisch nicht leicht einzuordnen

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 4 Min.

War Jörg Fauser ein Rechter, ein Vordenker der AfD? Er gilt doch gemeinhin als Rebell des Literaturbetriebs, als Kneipenliterat mit sympathisierendem Blick auf die Underdogs oder als Vorläufer der Pop-Literatur. Aber nicht als Rechter.

Jörg Fauser: Caliban Berlin: Kolumnen 1980–84.
Diogenes, 368 S., geb., 24 €.

Und doch wird genau diese Frage im Nachwort des Bandes «Caliban Berlin. Kolumnen 1980 - 84» aufgeworfen. Der Band ist Teil der Fauser-Werkausgabe, die der Diogenes-Verlag neu herausgibt. Er versammelt die Kolumnen, die Fauser unter dem Pseudonym «Caliban» für das Berliner Stadtmagazin «Tip» verfasste. Im Nachwort fragt der Fauser-Biograf Ambros Waibel: «Wäre Fauser heute vielleicht eine Art Matthias Matussek?»

Der Stein des Anstoßes ist vor allem eine Stelle, in der Fauser auf Bo Gritz eingeht, einen US-Offizier, der in den 1980er Jahren in abenteuerlichen Missionen beweisen wollte, dass in Laos und Vietnam noch US-Gefangene einsitzen: In der Kolumne «Clint Eastwood ist Hamlet» ist etwa die Rede von einer «sterilen Kopf- und Zopfwelt einer von Feminismus und ähnlichen Gesinnungsdiktaturen genormten Kultur».

Feminismus als «Gesinnungsdiktatur»? - ja, das könnten die von der AfD auch unterschreiben. Die rechtsextreme Zeitung «Junge »Freiheit« hat es schon getan und sich positiv insbesondere auf Fausers Dissidententum bezogen, der Ex-Maoist und heutige Identitären-Sympathisant Matussek ebenso. Die Journalistin Katja Kullmann spricht schon von einem neuen Schwenk in der Fauser-Rezeption: der rechten Vereinnahmung.

»Caliban Berlin« bietet eine hervorragende Möglichkeit, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen. In der Tat wurde besagte Eastwood-Kolumne schon damals scharf kritisiert. Von faschistoiden Dschungel-Kriegsabenteuern »als das, was Männern einmal Spaß gemacht hat«, ist in einer Leserzuschrift an die »Tip«-Redaktion die Rede. Fauser setzt sich mit dieser Kritik auseinander und bekennt in der Tat Irritierendes: zum Beispiel ein konservativer Mensch und an »Kameradschaft« interessiert zu sein. Und er schließt sich George Orwell an, der die Linke eindringlich davor gewarnt haben soll, Begriffe wie Kameradschaft, Treue, Mut, Ehre, Würde, Nation oder Kampf preiszugeben.

Da darf man allerdings gern anderer Meinung sein, wie auch bei Fausers Sozialstaatskritik. Er bekennt, den Grünen ihren Widerstand gegen die schon Anfang der 80er Jahre geplante Volkszählung nicht so recht abzunehmen. Und wörtlich: »Sind es nicht sie, die sich starkmachen für den totalen Ausbau des Sozialstaates? Sozialstaat heißt aber auch Statistik, heißt Plan, heißt Kontrolle und Wohlfahrtskomitee.« Mit Blick auf den späteren Neoliberalismus in der BRD, den der 1987 im Alter von 43 Jahren verstorbene Fauser nicht mehr miterlebte, stellt sich indes die Frage: Könnte seine linksradikal anmutende Sozialstaatskritik nicht auch von Neoliberalen geteilt werden, die den Abbau des Sozialstaates vorangetrieben haben?

Fauser selbst findet an anderer Stelle durchaus lobende Worte für den Ausbau des Sozialstaates: »Was da seit 1969 scheibchenweise an sozialen Erleichterungen in Gang gesetzt wurde (...), das heißt also an Möglichkeiten, am Leben teilzunehmen, an Kultur, das hat zur Verschönerung und zur Verbesserung des deutschen Milieus bis in die miefigsten Ecken der Provinz mehr beigetragen, als es der politischen Rechten lieb sein konnte.« Und so kann man noch mehrere Stellen anführen, die mal als Argument für, mal als eines wider den rechten Fauser gelesen werden können.

Ambros Waibel meint nach Hinweis auf eine Briefstelle, in der Fauser 1976 das Schweigen in der Zeitung über den Jahrestag der Reichspogromnacht kritisiert: »Dieser Fauser hätte sich mit den die Gräuel der Nazis relativierenden AfD-Leuten und ihren nazistischen Schlägern im Hintergrund nie und nimmer eingelassen.« Und wenn einer mit Blick auf die gefälschten Hitler-Tagebücher schreibt: »Ohne Scham vor ihrer Geschichte haben die Deutschen nach 50 Jahren ihren Hitler wieder groß rausgebracht; statt in diesem Jahr die Geschichte der Opfer zu schreiben«, so kann man sich dessen sicher sein.

Fauser selbst hat sich übrigens einmal als »Anarcho-Monarchist« bezeichnet. Ein Widerspruch in sich. Aber es sind doch gerade die Widersprüche, die das Werk eines Autors interessant machen. Und davon findet man in den Caliban-Kolumnen jede Menge. Vor allem so wunderbare Formulierungen wie: »den Himmel zwischen den Slips, die an den Wäscheleinen schaukeln« oder: »der ganze Plunder, den die Stadt aufs Land kippt, um es sich einzuverleiben«. Oder eine hervorragende Anti-Sekt-Polemik: »Ob im Frühausschank oder beim Art-Director, ob im Bummelzug oder im Airbus, Sekt hat das Sagen, dieser miese Muntermacher, der genau jene Gemütslage herstellt, in der man die Deutschen schon immer am meisten zu fürchten hatte: Stimmung.«

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