nd-aktuell.de / 24.10.2019 / Kultur / Seite 19

Good Cop, bad Cop

»Unbelievable« erzählt die Geschichte eines Serienvergewaltigers nach

Lidia Polito

Es mutet nicht sonderlich neu an, wenn Netflix wieder mal eine True-Crime-Serie produziert. Doch an »Unbelieveable« ist vieles neu. In acht Folgen wird der Fall eines Serienvergewaltigers nacherzählt, der 2015 an die Öffentlichkeit gelangte. Mit viel Mitgefühl für die Opfer, jedoch ohne in Sentimentalität abzurutschen, erzählt »Unbelievable« die Geschichte eines unglaublichen Verbrechens - und zwar nicht nur des Täters, sondern gleichwohl das der Justizbehörden.

Das erste Opfer des Vergewaltigers ist eine junge Frau aus Washington, die damals 18-jährige Marie Adler. Eines Nachts wird sie in ihrer Wohnung von einem maskierten Mann überwältigt - er knebelt sie, verbindet ihre Augen und vergewaltigt sie über mehrere Stunden. Danach verschwindet er, und mit ihm all seine Spuren. Trotz des traumatischen Erlebnisses ruft das junge Opfer die Polizei. Und lässt sofort stundenlange Befragungen über sich ergehen, muss immer wieder das Geschehene berichten, es sich immer wieder vor Augen führen. Durch extrem kurze Einblendungen ihrer Erinnerungen wird hier die Dramatik des Verbrechens vermittelt, ohne es voyeuristisch auszuschlachten.

Dann kommt Marie ins Krankenhaus - wieder Dutzende Untersuchungen, wieder niemand, der auf das traumatisierte Opfer Rücksicht nimmt. Sowohl das Krankenhauspersonal als auch die zuständigen Polizeibeamten lässt der Vorfall kalt, Marie wird behandelt wie ein weiterer Punkt auf ihrer To-do-Liste, den es vor Feierabend noch abzuhaken gilt. Der Blick des Opfers, gespielt von Kaitlyn Dever, ist dabei teilnahmslos und leer. Niemand fragt sie nach ihrem Befinden, niemand nimmt sie in den Arm. Schon die erste Folge lässt den Zuschauer beklommen und fassungslos zurück, angesichts der Empathielosigkeit, die einem Vergewaltigungsopfer so kurz nach dem Verbrechen widerfahren kann.

Die Polizisten setzen die junge Frau unter Druck, machen ihr Angst, und haben sie am Ende soweit, dass sie selbst nicht mehr weiß, ob sie wirklich vergewaltigt wurde, oder ob es ein Traum war. Unterstützt wird die Polizei von der ehemaligen Pflegemutter, nach deren Geschmack sich Marie nicht aufgelöst genug zeigt. Sie glaubt, dass Marie sich die Geschichte ausgedacht hat - aus Langeweile oder, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Die traumatische Geschichte, die Marie widerfährt - sie wird einfach durch ein fremdes Narrativ ersetzt, eines, das Polizei und Angehörigen besser gefällt, eines, das für sie alle angenehmer ist. Nur eben nicht für Marie. Die Ungerechtigkeit, die sie betrifft, ist himmelschreiend und steigert sich von Folge zu Folge.

Im zweiten Erzählstrang, der drei Jahre später spielt, zeigt »Unbelievable«, wie ein angemessener respektvoller Umgang mit den Opfern aussehen kann. Ein weiterer Vergewaltigungsfall wird gegengeschnitten: Die ermittelnde Kommissarin, gespielt von Merritt Wever, tröstet das Opfer, begleitet die Frau ins Krankenhaus, befragt sie gründlich, aber gibt ihr dabei die nötige Zeit, ist bedacht in ihrer Wortwahl und behutsam. Sie nimmt das Opfer und ihre Geschichte ernst und kann so den Zusammenhang zu einem anderen Vergewaltigungsfall herstellen. Zusammen mit der dort ermittelnden Kommissarin, gespielt von Toni Collette, machen sie die Arbeit, die drei Jahre vorher hätte so getan werden müssen.

Das Neue und Erfrischende an »Unbelievable« ist, dass hier zwei starke, aber auch unterschiedliche Frauencharaktere gezeichnet werden, die ganz ohne Klischees auskommen. Der Fokus liegt nicht auf ihrer Weiblichkeit oder Nicht-Weiblichkeit, dieser Konflikt, der in so vielen Polizeidramen mit weiblichen Polizeibeamten aufgrund mangelnder Kreativität oft herangezogen wird, wird überhaupt nicht problematisiert. Die Polizistinnen in »Unbelievable« müssen nicht vermeintlich männliche Attribute in verstärkter Form verkörpern, um kompetent oder hart zu wirken. Sie wirken stark, weil sie ihre Arbeit professionell erledigen. Und das bedeutet vor allem auch bei Sexualverbrechen, nicht nur gründlich zu sein, sondern auch empathisch und mitfühlend.

Gleichzeitig vermeidet die Serie ein anderes Klischee: Männer als kompetente Polizisten in Sexualverbrechen generell zu diskreditieren. Ohne erhobenen Zeigefinger gelingt es »Unbelievable«, Geschlechterrollen aufzubrechen - nicht indem die Serie explizit auf vermeintlich geschlechterspezifische Identitätsmerkmale verweist, sondern indem sie einfach starke Charaktere zeichnet und das zeigt, um was es wirklich geht: einen fairen und guten Umgang mit Opfern von sexueller Gewalt.

»Unbelievable« läuft auf Netflix.