nd-aktuell.de / 04.11.2019 / Politik / Seite 7

Doppelte Standards

Europäische Konzerne betreiben in den Südstaaten der USA gerne Union Busting

Carsten Hübner

Wenn es um Mitbestimmung und Gewerkschaften geht, agieren europäische Unternehmen im Süden der USA häufig völlig anders als in ihren Herkunftsländern. Union Busting, also die gezielte Verhinderung einer Interessenvertretung der Beschäftigten in Unternehmen, ist an der Tagesordnung. Das belegt eine Studie, die jüngst vom amerikanischen Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO vorgelegt wurde.

Die Südstaaten der USA sind für Gewerkschaften traditionell schwieriges Terrain. Die Ursachen reichen bis zur Sklaverei zurück. Noch heute, mehr als 50 Jahre nach Ende der Rassentrennung, prägen Rassismus und ein autoritäres Gesellschaftsbild wesentliche Bereiche des sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lebens. Das geht vom Waffenrecht, der Sozial- und Strafgesetzgebung über das Bildungssystem und ethnisch homogene Wohngebiete bis weit hinein in die Arbeitswelt. Gewerkschaften mit ihrem Anspruch, die Rechte aller Arbeitnehmer unabhängig von Hautfarbe, Herkunft oder Geschlecht kollektiv durchzusetzen, stehen dieser Ordnung naturgemäß entgegen. Aktuell liegt der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Süden durchschnittlich bei sechs Prozent, in der Privatwirtschaft noch deutlich darunter.

Die Studie »The double Standard at Work«, die der bekannte US-Arbeitswissenschaftler Lance Compa von der Cornell University für den AFL-CIO angefertigt hat, setzt hier an. Bevor sie das gewerkschaftsfeindliche Verhalten europäischer Unternehmen, darunter auch deutsche Großkonzerne wie Fresenius, ThyssenKrupp und Volkswagen, anhand konkreter Fallstudien dokumentiert, nimmt sie eine historisch-politische Kartierung vor. Dies ermöglicht dem Leser, das sozio-ökonomische Umfeld gewerkschaftlicher Aktivitäten und die Tragweite zentraler Begriffe wie »Jim Crow« oder des Euphemismus »Right to Work« (Recht auf Arbeit) besser zu verstehen. Wie wichtig die geschichtliche Einordnung sein kann, zeigt etwa der Umstand, dass bei anti-gewerkschaftlichen Kampagnen bis heute vor den »Yankee Unions« aus dem Norden gewarnt wird, die den Arbeitern im Süden ihren Willen aufzwingen wollten. Der amerikanische Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten endete bekanntlich im Jahr 1865.

Ausländische Unternehmen, die in den Südstaaten investieren, sind sich dieser politischen Hypothek durchaus bewusst. Die politischen und ökonomischen Netzwerke, auf die sie ihre Investitionsentscheidungen stützen, bilden häufig idealtypisch die weiße, konservative, alteingesessene Oberschicht ab, die seit Jahrhunderten von der undemokratischen und ungerechten Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung profitiert. Mit den entsprechenden sozialen Verwerfungen, die das zur Folge hat. So liegen die Südstaaten bei allen Sozialrankings bezüglich Armut, Einkommen, Bildung, Gesundheit und Kindersterblichkeit im US-Vergleich traditionell im unteren Bereich. Gleichzeitig sind die Unternehmenssteuern niedrig und die staatlichen Subventionen hoch.

Europäische Firmen erhielten in den letzten 25 Jahren von den Südstaaten allein für Großinvestitionen über 50 Millionen Dollar Subventionen und Steuerrabatte in Höhe von mehr als vier Milliarden Dollar. Damit ging die Hälfte dieser US-weit 36 Megadeals gingen im Süden über die Bühne.

Anhand der Fallstudien wird deutlich, dass es nicht zuletzt deutsche Großunternehmen wie VW und ThyssenKrupp oder der europäische Flugzeugbauer Airbus sind, die einerseits milliardenschwere öffentliche Subventionen einheimsen, gleichzeitig aber mit rigiden Methoden eine gewerkschaftliche Erschließung verhindern - zumeist unter Missachtung internationaler Arbeitsstandards und firmeninterner Regeln. So verweigerte der Gesundheitskonzern Fresenius Beschäftigten in Kliniken, in denen Arbeitskämpfe stattfanden, Gehaltserhöhungen, während er jenen in anderen Einrichtungen ohne Arbeitskämpfe welche gab.

Der Präsident des AFL-CIO, Richard Trumka, und der Generalsekretär des europäischen Gewerkschaftsbundes ETUC, Luca Visentini, weisen deshalb in ihrem gemeinsamen Vorwort der Studie darauf hin, wie bigott es sei, dass hochgradig mitbestimmte europäische Konzerne in den Südstaaten der USA derart gewerkschaftsfeindlich auftreten. Diese doppelten Standards seien unternehmenspolitisch und moralisch zweifelhaft.