nd-aktuell.de / 08.11.2019 / Politik / Seite 14

4000 Einzelteile in der »Gläsernen Werkstatt«

Die Harzer Schmalspurbahnen wollen sparen, deswegen sollen die Dampflokomotiven vor Ort gewartet werden

Uwe Kraus, Wernigerode

Alle acht Jahre steht eine Revision für die derzeit 25 Dampflokomotiven der Baujahre 1897 bis 1956 an, die auf dem 140,4 Kilometer umfassenden Streckennetz der Harzer Schmalspurbahnen (HSB) im Einsatz sind. Dabei werden die Loks in 4000 Einzelteile zerlegt. Das kostet Zeit und viel Geld. Die Kosten in der Meininger Lokwerkstatt hätten sich in den vergangenen 25 Jahren verzehnfacht, sagt HSB-Geschäftsführer Matthias Wagner. Die Dampflokfreunde kamen dagegen in den vergangenen Monaten oft nicht auf ihre Kosten. Zwischenzeitlich standen nur vier Dampflokomotiven und zwei Dieselloks zur Verfügung, Fahrten auf den Brocken, den höchsten Gipfel des Harzes fielen aus.

Am Westerntorbahnhof in Wernigerode wächst nun - rund 120 Jahre nach der ersten offiziellen Fahrt eines Personenzuges zum Brocken - bis 2021 eine neue Dampflokwerkstatt der HSB. Das größte Bauprojekt in der fast 30-jährigen Geschichte der HSB soll dem Unternehmen ermöglichen, unabhängig von Fremdfirmen zu agieren, wenn es um die Instandhaltung der betagten Dampfrösser geht.

Seit 2011 habe man in der Gesellschafterversammlung das Vorhaben diskutiert - und gerade bei den Thüringer Partnern in Nordhausen, Erfurt und Meiningen nicht nur Jubel geerntet. Meiningen sorgte sich, dass HSB-Aufträge wegbrechen, Nordhausen wollte nicht, dass »zu viel« HSB in Wernigerode beheimatet sei. Viele Thüringer stehen wegen der Gefährdung der Werkstätten in Meiningen dem Bau der neuen Werkstatt am Wernigeröder Ochsenteich kritisch gegenüber. Den überwiegenden Teil des Zugverkehrs wickelt die HSB von Wernigerode aus ab.

Insgesamt kommen die Dampfloks der HSB jährlich auf mehr als 350 000 gefahrene Kilometer auf den Strecken der Selketal-, Brocken- und Harzquerbahn. Die bisherige Fahrzeugwerkstatt aus dem Jahre 1926 am Bahnhof Westerntor zu erweitern, war keine Option.

Nun steht der HSB-Fahrplan für eine »Gläserne Werkstatt« in der Nähe des Wernigeröder Stadtzentrums: 2020 soll Richtfest für die Halle sein, in der auf 2500 Quadratmeter Fläche vier Gleise und drei Kräne Platz finden. Die Fertigstellung ist für das Frühjahr 2021 geplant. Ab 2022 sollen die ersten Dampflokomotiven dort vollständig auseinandergebaut und entsprechend den rechtlichen Vorschriften inspiziert werden. 10,5 Millionen Euro sind für die Investition geplant. Der gingen 2005 der Bau einer großen Fahrzeughalle in Wernigerode, ein Jahr später die 8,5 Kilometer lange Streckenverlängerung von Gernrode nach Quedlinburg sowie das »Nordhäuser Modell« eines attraktiv gestalteten Mischbetriebs aus Eisenbahnzügen und modernen Zweisystem-Stadtbahnen voraus.

Neben der wirtschaftlichen Bedeutung haben Touristen und Bahnenthusiasten dann die Möglichkeit, die Arbeiten in der »Gläsernen Galerie« zu verfolgen. »Die neue Dampflokwerkstatt wird ein weiterer touristischer Hotspot in Wernigerode und im Harz werden.« Peter Gaffert (parteilos), HSB-Aufsichtsratsvorsitzender und Oberbürgermeister von Wernigerode, sieht darin eine »Belebung für das touristische Kraftzentrum Sachsen-Anhalts«. Gaffert fordert zugleich, die HSB-Mitarbeiter müssten auskömmlich bezahlt werden. Bislang sei es offenbar attraktiver, »im sauberen Anzug bei anderen Bahnunternehmen in den Triebwagen zu steigen, als in dunkler Kleidung Kohlen schaufeln zu müssen«, klagte er. Einige Mitarbeiter folgten dem indirekten Appell und stiegen von der historischen Lok. Die LINKE-Landtagsabgeordnete Monika Hohmann hat derweil Sorge, dass der hochmodernen Werkstatt am Ende Fachkräfte fehlen könnten. »Schon jetzt muss begonnen werden, das Personal zu qualifizieren«, mahnt sie. Bislang stieg die Zahl der Mitarbeiter in der Abteilung Fahrzeugtechnik von 45 auf 54. Laut HSB sind weitere Neueinstellungen nötig.

Sachsen-Anhalts Verkehrsminister Thomas Webel (CDU) hebt unterdessen den Tourismus- und Wirtschaftsfaktor hervor, den die HSB darstelle und versicherte, die Firma wende sich keineswegs komplett von Meiningen ab.