nd-aktuell.de / 12.11.2019 / Politik / Seite 5

Niederlage für die Linke

Nach dem Rückzug von Boliviens Präsidenten Morales werden vor allem die Armen leiden

Christian Klemm

Ob Putsch oder nicht – wie man das Ende der Präsidentschaft von Evo Morales in Bolivien nennt, ist Nebensache. Fakt ist: Morales hat zusammen mit seinem Stellvertreter Alvaro Garcia Linera nach Aufforderung der Militärs am Sonntag seinen Rücktritt erklärt[1]. Ein herber Rückschlag für die Linke in Lateinamerika, die mit den Kämpfen in Venezuela und Nicaragua in jüngster Vergangenheit verstärkt in die Defensive geraten ist.

Unter der Führung von Morales ist es gelungen, die Armut in dem arg gebeutelten Land zu halbieren. Das Pro-Kopf-Einkommen der elf Millionen Einwohner hat sich verdoppelt. Die Kindersterblichkeitsrate ist mit 34,9 pro 1000 Lebendgeburten in Bolivien zwar immer noch hoch, zuletzt aber ständig zurückgegangen. Positiv ist ebenfalls, dass sich die chronische Unterernährung der Bevölkerung während der Morales-Jahre verringert hat.

Doch das ist nicht alles, was sich Evo Morales und seine Partei, die »Bewegung zum Sozialismus«, auf die Fahnen schreiben kann. Im vergangenen Jahr hat der Andenstaat ein Wirtschaftswachstum von 4,5 Prozent aufweisen können – die Pole Position in Südamerika. Die bolivianische Regierung hat außerdem eine kostenlose Gesundheitsversorgung eingeführt, staatliche Schulen können ebenfalls ohne Bezahlung besucht werden. Auch das ist im globalen Süden keine Selbstverständlichkeit.

Der Rückzug bedeutet jedoch mehr als eine Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik[2]. Morales ist der erste indigene Präsident in Bolivien, einem Land, in dem verhältnismäßig viele Ureinwohner die Gräuel der Kolonisation überlebt haben. Etwa 60 Prozent der Bevölkerung sind Indigene. Sie waren es, die als Zwangsarbeiter aus der Mine in Potosi Silber holten mussten – und zu Tausenden dabei zugrunde gingen. Ihren Nachkommen hat der aus einer Aymara-Familie stammende Morales nach Jahrhunderten der Entrechtung und Verachtung eine Stimme gegeben. Wenn nun die weiße Oberschicht wieder die Regierungsgeschäfte führen sollte, dann geht dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verloren.

So wie der Putsch 1973 in Chile oder die Wahlniederlage der Sandinisten 1990 in Nicaragua, ist auch der Abgang von Morales eine historische Zäsur in dem Binnenstaat. Es könnte viele Jahre dauern, bis sich die dortige Linke davon erholt hat und einen neuen Anlauf auf den Regierungssitz nehmen kann. Eine harte Zeit vor allem für die Armen.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1128416.bolivien-putsch-gegen-morales.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1128423.evo-morales-bolivien-droht-der-rollback.html