Kurdisches Guernica

Das Schwarz sticht ins Auge: Paolo Pellegrins Kriegsfotografien in den Hamburger Deichtorhallen

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Genre der Kriegsfotografie kann man eng und weit fassen. Der italienische Fotograf Paolo Pellegrin fasst es weit. Nicht nur Panzer, Zerstörungen und Flüchtlinge sind auf den Fotos der Hamburger Schau »Un’ Antologia« zu sehen, sondern auch Bilder vom Krieg gegen die Natur und vom Krieg der Reichen gegen die arme Klasse, der sich oft als »Rassen«-Krieg maskiert.

Betritt man die Werkschau des 1964 geborenen, vielfach ausgezeichneten Kriegs- und Dokumentarfotografen, sticht sofort ins Auge: Es dominiert die Farbe Schwarz. Die Bilder kommen bis auf wenige Ausnahmen ohne Farbe aus - und sie hängen an schwarzen Wänden. Sodann fällt auf, dass die Fotos ohne Texttafeln präsentiert werden. Sie sollen für sich sprechen. Das bricht mit den Konventionen des Fotojournalismus, die Angaben zum Ort, zur Zeit der Aufnahme verlangen. Somit verlässt der der renommierten Fotoagentur Magnum angehörende Pellegrin in Hamburg das fotojournalistische Genre und begibt sich auf künstlerisches Terrain. Dazu passt, dass die Ausstellung nicht ausschließlich kuratiert wurde. Pellegrin selbst wählte die Fotos aus und nahm Einfluss auf Anordnung und Präsentation. Ursprünglich schwebten Pellegrin sogar schwarz gehaltene Gänge vor, in denen seine Bilder gezeigt werden sollten. Das wurde aus welchen Gründen auch immer nicht realisiert. Doch der Eindruck ist ohnehin schon bedrückend genug.

Zu Beginn der Schau sieht man klassische Kriegsfotos. Einen Panzer, an dem Soldaten lehnen, die Hände vor dem Gesicht. Offenbar trauern sie. Wie ein Blick in das Begleitheft verrät, um einen gefallenen kurdischen Peschmerga-Kameraden. Auf einer anderen Fotografie ist ein kniender Mann mit verbundenen Augen und zur Fratze verzogenem Mund zu sehen. Zwei Fotos weiter: Männer mit Gewehren, die auf den vermutlich zu Exekutierenden gerichtet sind. Ob die Bilder tatsächlich dieselbe Szene zeigen? Wir wissen es nicht, stellen aber diesen Zusammenhang her.

Die Anordnung dieser und zahlreicher weiterer Fotos, die den Kampf der kurdischen Peschmerga gegen den »Islamischen Staat« zeigen, erinnern an Pablo Picassos weltberühmtes Antikriegsbild »Guernica« von 1937. Pellegrin stellt in der Schau noch weitere kunsthistorische Bezüge her: Das Foto von Erma, Mitglied einer in Rom lebenden bosnischen Roma-Familie, erinnert an Jan Vermeers »Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge«, andere sind unverkennbar Referenzen an die christlich-abendländische Kunst. Pellegrin ist gläubiger Katholik. Denkbar, dass ihn sein Glaube auch mit gewisser Sympathie auf einen nachts betenden Salafisten in Ägypten blicken lässt. Sein Porträt des Mannes mit geschlossenen Augen drückt Ergriffenheit aus und ist riesengroß zu sehen. Ein irritierender Anblick. Auf der Rückseite übrigens - ebenfalls großformatig - ein zerstörtes Gebäude in der Hisbollah-Hochburg in Beirut.

Pellegrin zeigt trauernde Menschen auf beiden Seiten der sich Bekriegenden. Die Bilder beziehen somit keine Stellung für eine Kriegspartei, sondern gegen den Krieg an sich, lassen sich als universalistische pazifistische Antikriegsbilder deuten.

Den Krieg der Reichen gegen die arme Klasse zeigt Pellegrin mit Bildern aus den USA, mehrere aus Rochester. Einst beschäftigte der Film- und Fotohersteller Kodak hier 60 000 Menschen. Als die Firma 2012 Insolvenz beantragen musste, wurden viele erwerbslos, das soziale Elend breitete sich aus - und dieses hat oft ein schwarzes Antlitz. Denn von Arbeitslosigkeit in den USA sind überproportional People of Color betroffen, von rassistischer Diskriminierung und Gewalt ohnehin. Pellegrin lichtet eine Mutter mit Kindern ab, das erinnert an »Migrant Mother« von Dorothea Lange aus der Großen Depression. Gezeigt werden verhaftete Afroamerikaner und Sexarbeiterinnen auf trostlosen, leeren Straßen sowie verfallene Gebäude. Der Kurzfilm »Borderline« schneidet diese Bilder spektakulär zusammen. Ein weiterer, »Migrants«, zeigt Pellegrins Aufnahmen von Geflüchteten auf der griechischen Insel Lesbos oder in Tunesien.

Während viele Bilder menschliche Gefühle angesichts von Gefahr, Leid und Zerstörungen festhalten, sind Pellegrins Naturaufnahmen ein Kontrapunkt. Sie zeigen, dass Krieg, Gewalt und Grenzzäune der Schönheit der Natur nichts anhaben können.

Vom Krieg gegen die Natur erzählt das Zentrum von »Un’ Antologia«. Es ist komplett in Weiß gehalten. Weißer Fußboden, weiße Wände und eine Installation, die an einen Eisberg erinnert. Zu sehen sind etwa NASA-Fotos von der Antarktis, mit der die Folgen des Klimawandels wissenschaftlich erforscht werden. Die Antarktis - schneeweiß, im allgemeinen Bewusstsein von menschlicher Zerstörung noch unberührt, wenngleich auch hier bereits Mikroplastik gefunden wurde. Pellegrin zeigt in der Installation Autobiografisches. Notizen aus Tagebüchern, Skizzen, Cover von renommierten internationalen Zeitschriften mit seinen Bildern, Kontaktabzüge seiner Arbeiten. Seine Arbeitsweise wird so ein Stück weit nachvollziehbar.

Pellegrin geht es nicht darum, ein Foto zu ergattern. »Stattdessen«, so sagt er, »bin ich daran interessiert, mit den Menschen, die ich fotografiere, so weit wie möglich zusammenzuleben.« Er geht anthropologisch vor: »Ich finde gerne Themen und Motive, um meine Geschichten zu erzählen.« Die gezeigten Bilder in der Hamburger Ausstellung beweisen dies eindrücklich. Allerdings geht ein Teil des künstlerischen Konzeptes - der Verzicht auf Texttafeln - nur bedingt auf. Denn am stärksten berühren die Dutzenden kleinformatigen Fotografien, die Palästinenserinnen und Palästinenser zeigen, die während der israelischen Operation »Cast Lead« 2009 fürs Leben gezeichnet wurden. So zum Beispiel der zur Zeit der Aufnahme 2012 sechs Jahre alte Mohammed Al Kabani. Im Alter von drei erlitt er schwere Verbrennungen durch kochendes Öl, das seine Mutter auf dem Herd hatte, als das Haus von Granatfeuer getroffen wurde. Drei Jahre später konnte er noch nicht wieder richtig schlafen - die Schmerzen zu stark.

»Paolo Pellegrin, Un’ Antologia. Werkschau des Magnum-Fotografen«, bis 1. März 2020, Deichtorhallen Hamburg, Haus der Fotografie, Deichtorstr. 1-2, Hamburg-City.

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