nd-aktuell.de / 30.11.2019 / Kultur / Seite 13

Sie sind die VVN-BdA

Sechs Menschen haben uns erzählt, warum sie Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes sind.

Johanna Treblin und Karlen Vesper.

Sechs Menschen haben uns erzählt, warum sie Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) sind. Es sind junge und alte Menschen, die das aktive Gedenken an die Opfer und Gräueltaten, aber auch an den Widerstand im Nationalsozialismus aufrechterhalten und die sich auch heute noch Rechtsextremen entgegenstellen.

Keine Angst, kein Hass

Meinen Mitgliedsantrag für die VVN-BdA habe ich am 8. Mai 2016 abgegeben. Ich fand das Datum ganz passend. Am 1. Juni bin ich dann Mitglied geworden. Veranstaltungen der VVN-BdA hatte ich bereits vorher als Sympathisantin und Gast besucht. Mein Mann ist gefühlt schon seit immer Mitglied. Und als es dann die Kampagne 1 + 1 gab - ein Mitglied bringt ein neues Mitglied mit -, dachte ich, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen. Das passt auch zu meiner ehrenamtlichen Arbeit für das Alternative Kultur- und Bildungszentrum Pirna. Die VVN-BdA hält die Erinnerung an den Nationalsozialismus wach und schafft den Spagat zum Hier und Jetzt: Sie bringt den Menschen, die die Zeit nicht mehr erlebt haben, bei, was damals passiert ist und wie schrecklich das war. Sie hält der NPD und heute der AfD und Pegida etwas entgegen. Was wir wollen, ist mehr Miteinander, keine Angst, keine Hassdebatten. Wir nehmen die Menschen, wie sie sind. Egal, wo sie herkommen, egal, wen sie lieben, egal, welcher Religion sie angehören.

Ina Richter, 31, ist Sachbearbeiterin und Mitglied des Landesvorstands des VVN-BdA Sächsische Schweiz.

Gefährliche Jetztzeit

Ich stamme aus einer antifaschistischen Familie. Mein Vater ist am 2. Mai 1933 verhaftet und im Oktober 1944 in Buchenwald ermordet worden, - wie Tausende Gewerkschaftsfunktionäre. Ich wurde 1943 zur Wehrmacht eingezogen, desertierte im Januar 1944 in Rouen in Nordfrankreich und schloss mich der Résistance an. Mit deren Streitkräften kehrte ich im Frühjahr 1945 nach Deutschland zurück, ein Land in Trümmern. Die Verantwortung dafür trug die verbrecherische Clique um Hitler. Wenn mir damals, nach der Befreiung vom Faschismus, jemand gesagt hätte: »Wenn du die 90 überschreitest, wirst du erleben, dass in Deutschland wieder Nazis grölend durch Städte und Dörfer marschieren« - ich hätte ihn für wahnsinnig gehalten. In dieser extrem gefährlichen Jetztzeit soll die wichtigste Organisation des Antifaschismus nicht mehr als gemeinnützig gelten? Ich bin entsetzt. Ich erwarte, dass die angekündigte Maßnahme sofort aufgehoben wird und man sich öffentlich entschuldigt.

Erhard Stenzel, Jg. 1925, lebt in Falkensee und ist der letzte noch lebende deutsche Kämpfer der französischen Résistance.

Wichtig, unverzichtbar

Nach zwei Lehren habe ich am Kolleg in Speyer mein Abitur gemacht. Dort habe ich den Höhepunkt der Studentenbewegung erlebt und im SDS Heidelberg mitgearbeitet. In dieser Zeit wurde ich politisiert und habe mich intensiv mit der Zeit des Faschismus beschäftigt. Meine Schwerpunkte wurden und sind es seit dieser Zeit geblieben: der Widerstand gegen den Faschismus, die Exilliteratur 1933 bis 1945, vor allem aber der jüdische Widerstand. Von 1975 bis 1980 arbeitete ich in Budapest für die NGO Weltbund der Demokratischen Jugend. In dieser Zeit hatten wir eine enge Zusammenarbeit mit der Fédération Internationale des Résistants. Es war für mich die erste Begegnung mit einer antifaschistischen internationalen Organisation. Als ich 1980 aus Budapest zurückkehrte, wurde ich sofort Mitglied in der VVN. Mir ist seitdem angesichts der politischen Entwicklung in unserem Land immer deutlicher geworden, wie wichtig, wie unverzichtbar die VVN-BdA für den Kampf gegen alle Spielarten des Neofaschismus ist.

Dirk Krüger, 79, Literaturwissenschaftler, lebt in Wuppertal.

Die VVN war immer da

Ich war nie auf die Idee gekommen, in die VVN-BdA einzutreten. Ich bin in Berlin-Marzahn-Hellersdorf aufgewachsen. Die VVN-BdA war schon immer die Organisation, die Gedenktage und Informationsveranstaltungen zu historischen Themen organisiert hat. Sie war Unterstützungsstruktur, die nicht unbedingt attraktiv war für junge Leute. Sie hat aber auch sehr spät erst die Mitgliedschaft für Menschen geöffnet, die keine eigene Verfolgungsgeschichte haben oder Verwandte sind. Für mich waren das immer Genossen, mit denen man zusammengearbeitet hat. Dass ich seit zweieinhalb Jahren im Bundesausschuss sitze, liegt daran, dass ich Mitglied im Deutschen Mauthausen-Komitee bin [des ehem. KZ Mauthausen in Österreich, Anm. d. Red], das eine Untergruppierung der VVN-BdA ist.

Für mich war die VVN-BdA immer da. Ich hoffe, dass sie jetzt auch nicht verschwindet, weil ohne sie zumindest aktives Erinnern untergehen würde und die Stimme der Überlebenden verschwinden.

Anika Taschke, 28, ist Referentin der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Mitarbeiterin der Bundestagsabgeordneten Gesine Lötzsch.

Erstunken und erlogen

Als Kind rannte ich durch das brennende Gomorrha von Hamburg. Eingeschult wurde ich in die Schule am Bullenhuser Damm, wo 20 jüdische Kinder ermordet worden waren. Als Jugendlicher erlebte ich das langsame Sterben meines von Misshandlungen der Wehrmacht betroffenen Vaters. Erzählungen von KZ-Opfern erschreckten mich, aber sie beeindruckten mich auch wegen ihres Mutes. Seit 60 Jahren bin ich Mitglied der VVN-BdA; als ich ihr beitrat, war sie gerade vom Hamburger SPD-Senat verboten worden. Heute drohen der Berliner SPD-Finanzsenator und sein Amt der VVN-BdA mit Vernichtung. Und dies mit der Begründung: Der Verfassungsschutz Bayern hält die VVN-BdA für verfassungsfeindlich. Und der begründet dies wiederum damit, dass unter anderem ich in Artikeln und Reden den »kommunistischen Antifaschismus« vertrete, der Nazismus als alleinige Folge des Kapitalismus ansehe, und dieser Kapitalismus sei Bestandteil des Grundgesetzes - was erstunken und erlogen ist.

Ulrich Sander, 78, in Dortmund lebender Journalist, ist Sprecher der VVN-BdA-Initiative »Verbrechen der Wirtschaft in der NS-Zeit«.

Jeder kann Mut zeigen

Ich bin Mitglied in der Northeast Antifa in Berlin, die aus lokalen Antifagruppen entstanden ist. Mit der VVN-BdA hatten wir lange nichts am Hut - das waren alte Leute, die Gedenkarbeit gemacht haben. Nachdem 2005 die NPD zum Tag der Befreiung am 8. Mai eine große Demo in Berlin angemeldet hatte, zu der wir auch mobilisierten, wollten wir anlässlich der Befreiung Berlins ein lokales Gedenken bei uns in Weißensee organisieren. Es gibt nicht viele antifaschistische Gruppen in Ostberlin, und so haben wir das zusammen mit der VVN-BdA gemacht. Die kannten sich mit Gedenkarbeit aus und mit lokalen Widerstandsgeschichten. Die haben gezeigt, dass auch in einer Diktatur jeder Mut zeigen kann. Wir konnten den VVN-Leuten unsererseits erzählen, was die Neonazis aktuell in unserem Stadtteil machen. Das war ein guter Austausch. 2013 bin ich dann selbst beigetreten, und 2014 sind wir als Gruppe kooperatives Mitglied geworden. Ich konnte dadurch Teil einer bundesweiten antifaschistischen Organisation werden. Ich wollte aber auch Mitglied werden, weil ich dadurch in Kontakt komme mit Menschen, die gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben. Da wird man immer daran erinnert, warum wir unsere alltägliche Arbeit gegen Nazis machen. Überzeugt hat mich auch, dass die VVN-BdA in den vergangenen 10, 15 Jahren vitaler geworden ist. Sie ist jetzt mehr selbst Akteur antifaschistischer Kämpfe und nicht mehr nur Gedenkorganisation.

Martin Sonnenburg, 35, will aus Sicherheitsgründen kein Foto von sich in der Zeitung sehen.