nd-aktuell.de / 06.12.2019 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 15

Cum-Ex-Deals waren Straftat

Finanzexperte Gerhard Schick über den ersten Strafprozess im Milliardensteuerskandal

Simon Poelchau

Bei Cum-Ex-Geschäften wurde mehrfach eine Rückerstattung der Kapitalertragsteuer erschlichen, obwohl diese nur einmal gezahlt wurde. Diese dubiosen Aktiendeals rund um den Dividendenstichtag haben den deutschen Fiskus laut Schätzungen vermutlich zwölf Milliarden Euro gekostet. Nun hat mit dem Landgericht Bonn am Mittwoch erstmals ein Gericht erklärt, dass diese Deals strafbar sind. Ist das ein Durchbruch in der Rechtsprechung?

Dies ist eine wichtige Weichenstellung und eine gute Nachricht für alle ehrlichen Steuerzahler. Zwar ist dieses Zwischenfazit des Richters im laufenden Prozess noch kein Urteil. Aber er hat damit die Grundsatzfrage geklärt, ob Cum-Ex-Geschäfte eine Straftat waren. Das ist entscheidend für dieses und wahrscheinlich auch für alle weiteren Verfahren rund um den Skandal.

Bedeutet dies, dass die beiden Angeklagten, zwei britische Ex-Aktienhändler, dafür ins Gefängnis kommen?

Die Entscheidung des Richters, Cum-Ex-Geschäfte als illegal zu betrachten, ist zumindest die Grundlage dafür. Im weiteren Verlauf des Prozesses muss aber noch die Verantwortung der beiden Angeklagten für die Geschäfte geklärt werden. Sie kooperieren sehr eng mit der Staatsanwaltschaft. Andere Akteure sind im Ausland und können damit nicht belangt werden. Deshalb befürchte ich, dass bei den Prozessen am Ende nur relativ wenige Haftstrafen ausgesprochen werden. Dabei sind diese das Einzige, was Täter aus diesem Milieu wirklich abschreckt.

Der Vorsitzende Richter in Bonn meinte auch, dass die illegal erschlichenen Gelder von allen in die Deals involvierten Akteuren rückerstattet werden müssten. Bei der Warburg Bank etwa geht es möglicherweise um mehr als 400 Millionen Euro. Ist die finanzielle Strafe nicht eine größere Abschreckung?

Die Möglichkeit der Rückforderung ist auf jeden Fall die zweite gute Nachricht aus Bonn. Denn in manchen Fällen gibt es die Fonds, die die Geschäfte gemacht haben, gar nicht mehr. Dass nun andere Akteure, etwa Investoren oder involvierte Depotbanken, herangezogen werden können, ist richtig und wichtig.

Wann wird es ein abschließendes Urteil geben?

In diesem Fall vor dem Landgericht vermutlich im Januar. Aber das wird kein Schlussstrich im Cum-Ex-Skandal sein. Es wird noch viele weitere Verfahren geben. Der Skandal wird unsere Justiz noch viele Jahre beschäftigen.

In einem anderen Cum-Ex-Fall sitzt seit kurzem ein ehemaliger führender Anwalt der Kanzlei Freshfields in Untersuchungshaft. Auch der Anwalt Hanno Berger, der sich in die Schweiz absetzte, steht im Zentrum des Skandals. Welche Rolle spielten Juristen bei Cum-Ex?

Bereits im Untersuchungsausschuss des Bundestages wurde deutlich, dass Anwälte aktiv am Skandal mitwirkten. Durch ihre Gutachten erzeugten sie eine Art Scheinlegalität der Geschäfte, auf die sich Bankvorstände und Fondsmanager stützten. Mit einer hoch komplexen Argumentation versuchten sie zu begründen, warum Cum-Ex-Deals legal seien. Dabei hätten sie beim genaueren Hinsehen schnell erkennen müssen, dass es Betrug ist, wenn man sich etwas erstatten lassen will, was man gar nicht gezahlt hat.

Leute wie der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki, der Hanno Berger vertritt, ziehen sich auf den Standpunkt zurück, dass die Verantwortlichen im Skandal im Bundesfinanzministerium zu finden sind, weil es Cum-Ex-Deals mit einer Gesetzeslücke ermöglicht hat, die erst 2012 geschlossen wurde ...

Natürlich gab es auch ein massives Staatsversagen. Die beiden ehemaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble sind dafür verantwortlich, dass man zu spät reagiert hat. Schäuble hat sich schon 2010 persönlich mit dem Thema befasst, aber er hat nicht die Auszahlung der Gelder an die Cum-Ex-Täter gestoppt. Außerdem schaltete er nicht die Staatsanwaltschaft ein, was zum Problem führte, dass einige Fälle jetzt vermutlich schon verjährt sind. Aber zu sagen, dass Cum-Ex-Deals nicht kriminell gewesen seien, weil es eine Gesetzeslücke gab, ist Quatsch von Herrn Kubicki.

Warum?

Wenn ich die Tür zu meiner Wohnung offen lasse, heißt das nicht, dass jemand einfach hereinspazieren und meinen Fernseher heraustragen darf. Das ist dann immer noch Diebstahl. Und so ist es auch bei Cum-Ex: Nur weil ein System betrugsanfällig ist, heißt es nicht, dass der Betrug damit auch legal ist.