nd-aktuell.de / 07.12.2019 / Politik / Seite 12

Nachbarschaft per Dorffunk-App

Kann die Digitalisierung das Leben auf dem Land verbessern? Ein Blick nach Eisenberg in Rheinland-Pfalz.

Haidy Damm

Früher war es anders auf dem Land. Neuigkeiten wurden im Laden, beim Bäcker, in der Dorfkneipe oder sonntags auf dem Kirchhof geteilt. Der Arbeitsplatz lag nicht kilometerweit entfernt, Betriebe oder Höfe waren Orte des Alltäglichen. Was jenseits des überschaubaren Teils der Welt wichtig war, kam übers Fernsehen und Radio in die gute Stube. Heute gibt es diese Orte kaum noch – kein Bäcker, kein Wartezimmer, und auch die Dorfkneipe hat längst zu. Informationen aus der ganzen Welt können jederzeit auf dem mobilen Endgerät gelesen werden. Nur wie es der Nachbarin geht oder warum zwei Straßen weiter schon wieder ein Baum gefällt wurde, darüber weiß der moderne Dörfler wenig. Im modernen Dorf wird gependelt, Arbeit gibt es frühestens in der nächstgrößeren Stadt.

Das ist auch im rheinland-pfälzischen Donnersbergkreis so. In einem Punkt jedoch unterscheidet sich Eisenberg von anderen deutschen Kleinstädten: Das Zeitalter der Digitalisierung soll hier Einzug halten. «Digitale Dörfer» heißt das Modellprojekt. Seit 2015 untersucht das Fraunhofer Institut für Experimentelles Software-Engineering (Fraunhofer IESE) unter anderem in Eisenberg «die Herausforderungen des heutigen Lebens in ländlichen Regionen in Bezug zur Digitalisierung».

Im Zentrum der Verbandsgemeinde liegt Eisenberg. 9000 Menschen leben hier. In den umliegenden Dörfern sind es noch mal halb so viele. Die Sterberate liegt höher als die Zahl der Geburten, und es ziehen mehr Menschen weg als hin. Die großen Arbeitgeber sitzen in Ludwigshafen und Mannheim, vor Ort arbeiten rund 800 Beschäftigte in der traditionsreichen Eisengießerei Gienanth, weitere 150 bei den Klebsandwerken.
Neben den pittoresken Gassen und der alten Kirche wirkt der zentrale Marktplatz ungemütlich und hektisch. Der – von einigen Neupflanzungen mal abgesehen – grünflächenfreie Ort ist gleichzeitig Parkplatz für die am Rande liegenden Geschäfte, zentrale Bushaltestelle und Nadelöhr für den Durchgangsverkehr. Sie alle schlängeln sich im Kreisverkehr zwischen den Fußgänger*innen hindurch. Letztere sind allerdings zahlenmäßig unterlegen und haben bis auf einen Zebrastreifen keine Unterstützung. Am Samstag ist hier Wochenmarkt, unter der Woche öffnet ein Dönerladen, Bäcker, Optiker und ein Geschäft für Porzellangeschenke und Parfüm.

Im Bäckercafé am Marktplatz ist es voll, der Geräuschpegel hoch. Julia Schauermann ist eine von zwei Projektkoordinatorinnen für das Digitale Dorf. Die Politikwissenschaftlerin ist überzeugt: «Grundsätzlich kann man mit Digitalisierung in ländlichen Regionen tolle Sachen machen. Wenn Sie die Leute dazu bekommen, sich zu engagieren.» Im Kern geht es um Kommunikation über smarte Geräte: Der kurze Draht zur Verwaltung, Austausch und Plausch unter den Bewohner*innen, der digitale Einkauf bei regionalen Anbietern – alle sollen miteinander vernetzt sein. Doch, schiebt sie nach: «Digitalisierung wird das Dorfleben nicht revolutionieren.»

In der Werbung des Projekt leitenden Fraunhofer IESE flimmern bunte Bilder durch den Werbeclip. «Hallo! Willkommen in unserer digitalen Welt», sagt eine freundliche Stimme aus dem Off. «Der Eintritt in die digitale Welt hat längst stattgefunden. Und in unseren ländlichen Regionen passiert das jetzt auch.» Es folgen Animationen im Stil digitaler naiver Bauernmalerei. Sie signalisieren: Alles wird gut. Dank mobiler Endgeräte. In dieser Welt gibt es keine kaputten Bushaltestellen, keine leeren Schaufenster, keine verwaisten Arztpraxen. Hier gibt es freundliche Nachbar*innen, die Brötchen vorbeibringen und engagierte Bürger*innen, die kaputte Schaukeln auf den Spielplätzen an die Verwaltung melden. Eine digitale Landlustidylle. Fern von der Werbung bleibt Projektleiter Steffen Hess realistisch: «Das digitale Werkzeug kann helfen, Gesellschaftsformen, nach denen es ein Bedürfnis gibt, wiederherzustellen. Aber das ist kein Selbstzweck.»

Wer hilft den kranken Nachbarn?

Zusammenhalt und Nachbarschaftshilfe sind solche Bedürfnisse. Wer hat etwas zu verleihen? Wer tauscht Fenster putzen gegen Rasen mähen? Wer geht am Samstag einkaufen und kann der kranken Nachbarin Milch und Brot mitbringen oder bei der Apotheke vorbeischauen?

Eisenberg wurde wie viele andere Kommunen mit anderen Gemeinden zusammengelegt, das Einzugsgebiet der Verwaltungszentrale ist groß und die eingemeindeten Orte versauern informationstechnisch, erklärt Projektkoordinatorin Schauermann. Dabei gibt es in der Stadtmitte mehrere Schaukästen, die erstaunlich aktuelle Informationen bieten: Ortsgruppen der Parteien, der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Weltladen, das politische Kino der Heinrich-Böll-Stiftung, die Landfrauen, der Kindernotdienst und das internationale Begegnungszentrum – sie alle berichten über ihre Aktivitäten und kündigen neue an. Fast jeder, der hier vorbeigeht, wirft zumindest einen Blick drauf. Einen analogen Hinweis auf die Digitalen Dörfer gibt es nicht. Neben dieser direkten Kommunikation übernimmt die Lokalzeitung mit Berichten und jeder Menge Kleinanzeigen ihren Teil der Kommunikation. Doch in digitalen Zeiten steht der Wunsch nach neuen Kommunikationsformen weit vorne. «Dorffunk» lautet das neue Zauberwort, auch in Eisenberg.

Dorffunk verbindet

«Die Leute sind oft den ganzen Tag nicht zu Hause, sie arbeiten in den nächstgrößeren Städten», erklärt Schauermann. «Da bekommen sie nichts mit von ihrem Dorf. Und da greift der Dorffunk.» Die Dorffunk-App ist eine Mischung aus Lokalzeitung und persönlichen Mitteilungen. Es gibt News, Plausch, Ankündigungen und Nachrichten an die Verwaltung. Bewohner*innen können zu Themen Gruppenchats bilden, Hilfe oder Aussortiertes anbieten oder Gesuche einstellen. Über die App sucht der Ortsverein des Roten Kreuzes neue Mitarbeiter für seine Fahrdienste, der Verein Vogelschutz in Göllheim berichtet über seine Jahreshauptversammlung, der Sportverein lädt zur Mitgliederversammlung und die Gemeindebücherei verbreitet Büchertipps. Ein Nachbar bietet seine Hilfe beim Bäume schneiden, eine andere sucht für eine Familienfeier ausreichend Geschirr. Der Rest ist Plausch: Der Naturverein fragt, ob jemand etwas über die drei Eschen weiß, die gefällt wurden. Andreas O. fragt nach dem Stromausfall der vergangenen Woche, und ein anderer sucht sein Frettchen. Live kann hier mitverfolgt werden, wer das weiße Tierchen wo gesehen hat, bis es wieder auftaucht. Was mit den in den sogenannten sozialen Medien üblichen Emoijs gefeiert wird.

Verkürzt werden soll auch der Weg zwischen Bürger und Verwaltung. Über die App sollen Anfragen gestellt werden können. «Es ist doch schön, wenn der Bürger das Gefühl hat, dass sich jemand direkt um seine Anliegen kümmert», sagt Schauermann. Sie hält die zusätzliche Belastung der Angestellten für nicht so dramatisch. Klar gab es Beschwerden von den Kolleg*innen, die fragten, ob es denn jetzt noch einen weiteren Kommunikationsweg brauche. «Ich glaube, dass es eine Arbeitserleichterung sein kann. Eine Angst ist der Druck, dass die Öffentlichkeit sieht, wie lange eine Anfrage auf dem Status ›Wird bearbeitet‹ steht.» Die Arbeitsverdichtung sei hoch, «aber wenn das Onlinezugangsgesetz so durchgesetzt wird wie verabschiedet, dann wird das für die Kommunen auf jeden Fall eine enorme Herausforderung».

Das Onlinezugangsgesetz verpflichtet Bund, Länder und Kommunen dazu, ihre bislang isolierten Online-Verwaltungsdienste in einem gemeinsamen Portalverbund zusammenzuführen. Bis 2022 soll alles fertig sein. Das Versprechen: Bürger sollen jede Verwaltungsleistung online in drei Klicks erreichen, online zahlen und online ihre Bescheide erhalten können. «Da ist es doch gut, vorher gemeinsam zu gucken was geht», sagt Schauermann. «Ich gehe davon aus, dass es am Anfang viele Anfragen geben wird, aber dann wird sich das einpendeln in einem angemessenen Rahmen – also nicht alle drei Minuten. Je nachdem, wie weit wir kommen, kann das System ja auch Fragen automatisiert beantworten.» Künstliche Intelligenz, ganz bürgernah.

Diskussionen gibt es beim Dorffunk auch. Hauptsächlich über Müll, den wahlweise Jugendliche oder Geflüchtete hinterlassen haben sollen. «Wer verschandelt unser schönes Steinborn?», fragt Gabi G. Und Carmen M. erwidert: «Die jungen Leute wissen ja nicht, was sie hier treiben sollen, ist ja nichts hier. Von wegen schönes Steinborn.» Darauf weiß Gabi G. nur eine Antwort, schließlich war früher auch nichts los, aber da hätten die Jugendlichen ihren Müll mit nach Hause genommen. Und auch die Geflüchteten bekommen ihr Fett weg: «So wie die das in ihrem Land machen, so wird es auch bei uns gemacht. Sauberkeit kennen die nicht.» Zwei Teilnehmer widersprechen.

Der Dorffunk ist auch ein Spiegel der Gesellschaft. Hetze gab es bisher nicht, sagt Julia Schauermann. «Aber wir gehen da nicht blauäugig rein, wir gucken schon, wie sich das entwickelt. Wenn es zu heiß wird, dann müssen wir als Moderation damit umgehen.» Anfangs habe sie gedacht, sie müsste wahrscheinlich vieles abwehren und Beiträge löschen. «Bei uns ist das ein, zweimal passiert und dann haben sich viele Leute zu Wort gemeldet, die gesagt haben: Dafür wollen wir den Dorffunk nicht nutzen. Es ist gut, wenn die Gemeinschaft das selbst moderiert und Hetze nicht duldet. Aber natürlich kann das Fraunhofer IESE auch Nutzer sperren.» Es gebe schließlich Richtlinien. Doch ein bisschen bleibt die Angst, damit müsse man leben. Wie in der analogen Gesellschaft auch.

Ende des Jahres wird dieser Teil des Projektes offiziell beendet. Die Anwendungen bleiben zwar bestehen, werden aber nicht weiter entwickelt. «Wir versuchen bis dahin, alles Wichtige noch zu ändern, damit wir weiter einen stabilen Dorffunk haben.» Dafür wird es wahrscheinlich nach 2020 andere Schwerpunkte geben. Inzwischen kommen andere Kommunen hinzu, die auch für diese Apps bezahlen. 23 Gemeinden sind laut Projektkoordination dabei, aus Nordrhein-Westfalen, dem Saarland, Niedersachsen, Hessen und Rheinland-Pfalz.

Wenig Dorffunker*innen gibt es unter den Jugendlichen. «Das ist nicht so sehr was für jüngere Leute», sagt Schauermann und lacht. «Jüngere interessiert es wahrscheinlich Minus 100, was in ihrem Dorf passiert, in dem Alter möchte man gar nicht hier sein und findet Dorffunk eher uncool.» Mit dabei sind dafür die Älteren und diejenigen, die sich entschieden haben zu bleiben. 1124 Nutzer*innen hat Eisenberg für 2018 registriert, 150 sind wieder ausgestiegen.

Kooperation statt Gewinne

«Es hat schon seinen Charme, wenn man sein eigenes Netzwerk vor Ort hat, wo ich schnell reinschreiben kann, wenn mein Hund weg ist. Vielleicht haben Leute auch mehr Vertrauen, weil es von ihrer Verwaltung betrieben wird und sie der mehr vertrauen als einem Konzern», sagt Schauermann. Denn auch das will der Dorffunk: weg von den großen Anbietern, hin zu communitybasierten Plattformen, bei denen nicht die Gewinne durch Daten im Vordergrund stehen wie bei Facebook oder Google. «Wenn Sie eine regionale Anwendung haben, vielleicht auch mit emotionaler Bindung, denn es geht ja um ihr Dorf, sie wissen, wer da sitzt und sich kümmert, dann kann das besser funktionieren als die Sachen, die es eh schon gibt.»

Plattformkooperationen statt Plattform-Kapitalismus? Der Dorffunk könnte letztlich mit einem geringen Beitrag von den Einwohner*innen bezahlt werden. Das könnte auch die Datensicherheit erhöhen. Heutzutage liegen die meisten Daten sozialer Netzwerke bei großen Konzernen. Mit dem Haken bei den Geschäftsbedingungen stimmen die Nutzer*innen zu, dass sie für ihre Daten – wie etwa bei Facebook – eine «nicht exklusive, übertragbare, unterlizensierbare, gebührenfreie, weltweite Lizenz für die Nutzung jeglichen IP-Inhaltes» einräumen. «Damit überlassen sie dem Unternehmen alle hochgeladenen Fotos und Informationen für dessen eigene, kommerzielle Zwecke», schreiben Steffen Lange und Tilmann Santarius in ihrer Analyse «Smarte grüne Welt». Zwar nutzt auch das Projekt Digitale Dörfer den Cloudservice von Amazon und Microsoft. Dennoch haben die Nutzer*innen die Möglichkeit, ihre gespeicherten Daten anzufordern oder sich komplett aus dem System zu entfernen. Datensouveränität hat jedoch ihren Preis. Wer Whatsapp und Co. nicht mehr mit seinen Daten bezahlt, muss eventuell in die Tasche greifen. Hier kommen laut Lange und Santarius kooperative Plattformen ins Gespräch: Sie können von Mitgliedern, Gemeinden, Genossenschaften oder Gewerkschaften getragen werden, sind gekennzeichnet durch gemeinschaftlichen Besitz, demokratische Mitbestimmung und faire Verteilung der Einnahmen. «Natürlich verändert die Digitalisierung die Gesellschaft, aber es ist fahrlässig, wenn man einfach darauf wartet, wie die Digitalisierung von den großen Konzernen gesteuert wird und es dann am Ende so wird, wie wir es nicht wollten», sagt Projektleiter Hess vom Fraunhofer IESE. «Deswegen müssen wir die Entwicklung aktiv mitgestalten.» Gerade beim Thema Datenschutz gebe es unzählige Möglichkeiten. Niemand muss bei Google ein E-Mail-Konto haben, bei dem mit Daten statt mit Geld bezahlt wird.
Eine, die gerne mitmacht, ist Agnes Conrad. Die ehemalige Werbereferentin leitet den «Treffpunkt PC», ein Internetcafé, das sich zwar an Nutzer*innen jedes Alters richtet, aber in erster Linie Senior*innen anspricht. Hier geht es um Passwortsicherheit, den Kauf des richtigen Smartphones, mysteriöse Warnmeldungen, skypen mit den Enkel*innen in den USA oder Datensicherheit. Senior*innen seien viel datensensibler als sie das von Kursen mit Jugendlichen kenne, sagt Conrad. Das zeige sich auch beim Dorffunk, der sich langsam gegen Whatsapp durchsetze, «weil es ja etwas sicherer sein könnte». Rund 26 Frauen und Männer kommen inzwischen regelmäßig, bei Kaffee und Kuchen ist das Café auch eine Verbindung zwischen digitaler und analoger Welt. «Was mich immer wieder berührt, sind die Gespräche über ›unsere digitale Zukunft‹, irgendwie sind wir uns da alle einig, dass wir zwar mitmachen müssen, aber die viel gepriesene digitale Freiheit nicht sehen, da im jetzigen Entwicklungsstand alles Digitale zu starr und zu störanfällig ist», sagt Conrad. Aber es gebe auch Gespräche über nicht-digitale Themen, das sei «das schöne ›Plus‹ an dieser wöchentlichen Zusammenkunft, man trifft sich und tauscht sich aus.»

Ein anderes digitales Thema wird unter den Senior*innen ganz analog ausführlich bei Kaffee und Kuchen diskutiert: Smart Homes. Auch in der Nähe von Eisenberg gibt es ein Unternehmen, das sich darauf spezialisiert hat. Digitale Assistenzsysteme sollen ältere Menschen im Alltag unterstützen, Hilfe sicherstellen, etwa wenn sie gestürzt sind. Die neuen Systeme gehen weit über die bekannten Notfallknöpfe hinaus. Dafür brauchen sie vor allem Daten. Tragbare Sensortechnik erlaubt die permanente Erfassung von Gesundheitsdaten, selbst die Matratzen werden mit Sensoren ausgestattet. Das Gute ist: Die Menschen können länger in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Gleichzeitig sind die längst ausgezogenen Verwandten digital nah dran. Die Frage, ob sie wieder zurückkehren, wo sie einstmals erfolgreich abgehauen sind, um die Mutter oder den Onkel zu pflegen, kann so umgangen werden. Tochter oder Neffe können sich die Daten auf das mobile Endgerät schicken lassen und im Notfall Hilfe anfordern. Das spart Zeit und Geld.
So verspricht der aktuelle Boom «nicht zuletzt auch eine kosteneffiziente Antwort auf die Care-Krise und den Fachkräftemangel der letzten Jahre und reproduziert dabei die Vorstellung von eigenständigem, unabhängigen Wohnen in den eigenen vier Wänden als erstrebenswerte Wohnform», schreibt Nadine Marquardt in «Smart City. Kritische Perspektiven auf die Digitalisierung in Städten.»

Ein weiterer Baustein der Digitalen Dörfer ist die Stärkung der regionalen Wirtschaft. Hierbei geht es nicht allein darum, die digitale Bohème zum Leben und Arbeiten in den Dörfern zu bewegen, sondern auch vorhandene Strukturen regional wieder stärker zu verankern. «Die Digitalisierung biete neue Möglichkeiten, wirtschaftliche Aktivitäten auf regionaler Ebene zu organisieren und das Problem der geringeren ökonomischen Effizienz – wo es denn tatsächlich existiert – zu lösen», schreiben Santarius und Lange.

Mit dem Modul «Bestellbar» sollten in Eisenberg lokale Händler*innen die Möglichkeit bekommen, ihre Waren auch online anzubieten, unabhängig vom Monopolisten Amazon. «Die Idee war: Jemand bestellt Brötchen und jemand anderes sieht, ›in der Ecke bin ich eh unterwegs‹ und bringt die Waren mit», erklärt Schauermann. «Klingt schön, gerade für den ländlichen Raum, wo immer viele viel unterwegs sind.» Der Plan sei zum Teil aufgegangen. «Das Problem war nur, dass immer ein paar Sachen liegen blieben, die niemand mitnehmen wollte oder konnte und um die wir uns dann als Verwaltung kümmern mussten.» Diesen logistischen Aufwand könne eine Verwaltung gar nicht leisten.

An Google vorbei

Dieser Teil des Projektes ließ sich letztlich nicht umsetzen. Viele Probleme hätten sich erst im Detail ergeben. Etwa bei den Online-Schaufenstern der regionalen Wirtschaft. «Das ist auch für die Händler nicht leicht», so Schauermann. «Sie machen schöne Schaufenster, aber was ein gutes Online-Schaufenster ist, das wissen sie nicht.» Letztlich würden die Leute dann doch beim Supermarkt bestellen, der schon einen guten Onlineshop habe. Dabei wäre es doch gut, auch im Internet beim Bäcker vor Ort oder Elektriker in der Stadt zu bestellen anstatt bei Amazon oder REWE. Aber: «Die Geschäfte hier finden sie nicht bei Google. Das ist das nächste Problem: die Leute zu sensibilisieren. Damit ihre Schreinerei vorgeschlagen wird und nicht die 50 Kilometer entfernte, weil die eine Internetpräsenz hat», so Schauermann. Letztlich haben nicht viele Händler*innen mitgemacht. Ein Grund, so der örtliche Besitzer der Drogerie Kauth, war die kurze Testphase. «Viele Unternehmer waren zunächst begeistert», erzählt er. Doch dann kamen zu viele kleine und größere Probleme zum Vorschein, deren Lösung hätte mehr Zeit gebraucht.«

Was ist es nun, das digitale Dorf? Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz, hat sich die Digitalisierung für ihr Bundesland auf die Fahnen geschrieben. Ihrer Meinung nach wurde sie viel zu lange wie einer der üblichen technologischen Fortschritte betrachtet – so wie von der Kutsche zum Auto oder wie vom Radio zum Fernsehen. »Sie ist aber viel mehr: Wir befinden uns mitten in einer Revolution«, schreibt die Sozialdemokratin in einem Grußwort für die Digitalen Dörfer. In Eisenberg ist eine revolutionäre Stimmung nicht zu bemerken, vielmehr gibt es ein paar Instrumente, die die Kommunikation untereinander verbessern könnten. Das sagt nichts über die Inhalte aus und erst recht nichts über die gesellschaftsverändernden Möglichkeiten der neuen Technik.