nd-aktuell.de / 04.01.2020 / Kultur / Seite 11

Gleich kommt die Polizei

Kampf gegen die schnöde Immanenz: Mit den neuen Alben von Liturgy und Sunn O))) lassen sich schöne Transzendenzerfahrungen machen.

Benjamin Moldenhauer

Der Eindruck, man würde etwas wahrnehmen oder spüren, das die gängigen Erfahrungshorizonte radikal übersteigt, ist oftmals mit durch und durch weltlichen Extremerfahrungen verbunden. Man bildet sich ein, der Geist nimmt Kontakt zu einem unbestimmten Drüben auf - und das nennt man dann Transzendenz. Eine der Möglichkeiten des für Mystik tauben Agnostikers, im Modus ästhetischer Erfahrung so etwas wie eine Transzendenzerfahrung herzustellen, ist brachial laute, auf körperliche Intensität zielende Musik.

Welche der historisch etablierten Intensitätsmusiken - Free Jazz oder Industrial etwa, es gibt aber noch einiges mehr - zum nur diffus definierbaren Ziel führt, ist Typ-Sache. Mithilfe der aktuellen Alben der Bands Liturgy und Sunn O))), beide im letzten Quartal des vergangenen Jahres erschienen, lässt sich ausprobieren, wie weit einen extremistischer Metal in dieser Hinsicht transportieren kann. Trotz aller habitualisierten Skepsis gegenüber Eso-Kitsch. Jedwede Skepsis nämlich, unter anderem das verbindet beide Bands, will diese Musik gerade hörbar eliminieren.

Liturgys Album »H.A.Q.Q.« und »Pyroclasts« von Sunn O))) haben auch sonst einiges gemeinsam. Beide Alben sind überraschend erschienen. »H.A.Q.Q.« ohne jeden Werbevorlauf, während »Pyroclasts« vier Jam-Sessions versammelt, die während der Aufnahmen zum im Frühjahr 2019 erschienenen »Life Metal« entstanden sind. Also haben wir es quasi mit einer unverhofften Zugabe zu tun. Beide Alben entfalten ihre Wirkung erst dann, wenn man sie in enormer Lautstärke hört. Und beide sind von sehr konzeptbewussten Künstlern in die Welt gesetzt worden, die ihre Arbeit als Kampf gegen schnöde Immanenz und den alltäglichen Erfahrungshorizont verstehen.

Vom Liturgy-Sänger und -Gitarristen Hunter Hunt-Hendrix kann man diese Zielvorgabe auch schriftlich haben. Sein 2010 erschienener manifestartiger Essay »Transcendental Black Metal: A Vision of Apocalyptic Humanism« entwickelt mitunter arg pompöse Kategorien, die den eigenen Krach philosophisch aufladen sollen. Bei allem unfreiwilligen Quatschcharakter, den so ein Unternehmen zwangsläufig immer auch haben muss, findet sich in Hunt-Hendrix’ Text viel Bedenkenswertes, das als Offenlegung des eigenen künstlerischen Konzepts wie auch als Reflexion des eigenen Genres gut funktioniert.

Die Musik von Liturgy soll in Abgrenzung zum nihilistischen norwegischen Neunziger-Jahre-Black-Metal vom Geist radikaler Affirmation bestimmt sein - ein Medium der Freude an der nackten Existenz. Utopie und eben euphorische Überschreitung des Bestehenden statt gotteslästerlichem Gekreische. Die Schreie des Sängers wiederum zeigen an, dass der Weg ins Drüben ein genussvoll-schmerzhafter Gang sein soll.

Was in der »Vision of Apocalyptic Humanism« sehr von sich selbst berauscht daherkommt, klingt auf »H.A.Q.Q.«, dem vierten Liturgy-Album, wieder einmal so suggestiv, dass man der Band erst einmal jeden Schrei ihres Sängers glauben möchte. Alles arbeitet an der Herstellung von Dauerintensität. Das achtminütige Stück »God of Love« zum Beispiel: Blastbeasts, die Hunter Hunt-Hendrix als »Burstbeats« verstanden wissen will - Hochgeschwindigkeitsgetrommel, anders als im klassischen Black Metal aber nicht statisch, sondern auf- und abschwellend.

Mantraförmige Repetitivität sorgt dafür, dass etwaige Zweifel der Hörerin an der ganzen Unternehmung im schönen Klanggewitter zerdullert werden. Die Gitarren legen eine poröse Noise-Fläche über alles. Das Black-Metal-Inferno vermittelt nun nichts Pubertär-Drohendes mehr, sondern den Eindruck von etwas ziellos Überschießendem. Dass Liturgy Black Metal von Anfang an in vielen Punkten als Antithese zum Genre konzipiert haben, wird der Hauptgrund dafür sein, dass diese Band bei vielen Metal-Fans eher verhasst ist.

Sunn O))) wiederum fabrizieren das genaue Gegenteil, nämlich lang anhaltende Gitarren-Drones, die eigentlich live aufgeführt werden müssen, um zu wirken. Das ist dann aber auch schon der einzige Mangel des neuen Sunn-Albums, und er ist unvermeidlich, und zwar wegen der Lautstärke: Wenn man diese Musik zu Hause auf dem Level hört, das die Künstler dafür vorgesehen haben, kommt die Polizei. Oder die Bundeswehr. Der Raum, in dem diese Musik auf den Hörer trifft, sollte idealerweise groß sein, eine Halle, weil die Stücke einen nicht frontal angehen wollen, sondern von allen Seiten.

In Gesprächen nach Sunn O)))-Konzerten dominieren meist sportliche Begriffe: Krass, dass man den Schalldruck ausgehalten hat bis zum Schluss. Mit der tatsächlichen Erfahrung dieser Musik hat das nur wenig zu tun, mit der ist man eh auch besser alleine. Der Redebedarf direkt nach einer durch Musik erzeugten Transzendenz-Suggestion geht eh gegen null.

Aber trotzdem: Ich würde gerne über das Vokabular verfügen, das es erlauben würde, die Körpererfahrung zu beschreiben, die man auf Sunn O)))-Konzerten machen kann. Da geht es um mehr und um anderes als um Lautstärke. Sunn O))) arbeiten vor allem mit der Gitarre daran, Frequenzen zu finden, die eine, na ja, öffnende Wirkung haben. Metal, der einen sozusagen weich werden lässt und mit metal-typischen Panzer-Inszenierungen nichts mehr im Sinne hat.

Anders als die Musik von Liturgy ist die von Sunn O))) nicht gewaltvoll, sondern erzeugt im Körper des Zuhörers selbst und so unmittelbar, wie es mittels Musik eben gehen kann, Ruhe und das schöne Gefühl einer umfassenden Verabschiedung der Welt. Ein intensiver, musikalisch evozierter Eindruck einer Transzendenzerfahrung, die allerdings konsequent von den möglichen Auswirkungen des Sounds auf den Körper her gedacht ist. Sozusagen ein materialistisches Konzept von Transzendenz: Die Körper lassen sich nicht in andere Erfahrungswelten oder in ein unbestimmtes Drüben beamen. Aber vielleicht schleppen sie doch in vielem ungenutzte Erfahrungspotenziale mit sich herum bzw. durch die Welt des Spätkapitalismus. Und an diese Potenziale kann erinnert werden, unter anderem wenn man in einer bestimmten Weise auf eine Gitarre schlägt und vorher die Verstärker bis ans Maximum gepegelt hat.

Auf »Pyroclasts« bleibt vom Konzerteindruck wie gesagt nicht viel übrig. Dafür kann die Band nichts, das liegt an der Sache selbst. Aber wenn man das Album zum Einschlafen hört, träumt man anderes Zeug zusammen als sonst. Während Liturgy einen anschreien, man solle endlich aufwachen. Beides ist schön.

Liturgy: »H.A.Q.Q.« (YLYLCYN)

Sunn O))): »Pyroclasts« (Southern Lord Recordings)