»Wirtschafts-Wunderkind« will Ihme-Zentrum retten

Unternehmer Lars Windhorst engagiert sich für den maroden Betonkomplex in Hannover - Beispiel des Brutalismus gammelt vor sich hin

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.

»Abreißen! Endlich abreißen diesen Schandfleck!« Eine Forderung, die oft zu hören ist, wenn in Niedersachsens Hauptstadt Hannover das Gespräch auf das Ihmezentrum kommt. Auf ein 1975 mit großem Brimborium eröffnetes Musterbeispiel des Brutalismus, damals mit der europaweit größten bebauten Betonfläche protzend und mit beeindruckenden Zahlen: Auf 60 000 Quadratmeter summierte sich die Verkaufsfläche, die rund 860 Wohnungen in teils bis zur 23. Etage ragenden Türmen machten zusammen über 58 000 Quadratmeter aus.

Das Anfangs rege Interesse der Verbraucher an den vielen kleinen und auch größeren Geschäften ging mit der Zeit zurück, nach und nach zogen die Händler aus, verwaisten die langen Ladenzeilen, sie verfallen von Jahr zu Jahr immer mehr. Zum Teil sind sie durch Zäune versperrt. Hinter denen ist es gruselig, wie in einer Geisterstadt. Leere Läden gähnen in in die Betonwüste, Moos wuchert, alles andere scheint tot zu sein. Wieder Leben hinein bringen in die Geschäftszone will ein nicht nur in Wirtschaftskreisen bekannter Investor: Lars Windhorst.

Der 43-jährige Unternehmer hatte im März vergangenen Jahres 83 Prozent des Zentrums gekauft: von der »Projekt Steglitzer Kreisel Berlin Grundstücks GmbH«, die zur »Intown«-Gruppe gehört. Sie hatte ebenfalls geplant, den am Fluss Ihme gelegenen Komplex zu sanieren. Und es war nicht die erste Firma, die das angekündigt hatte. Schon 2000 hatte sich die Firmengruppe Engel an die Wiederbelebung der Betonburg gewagt, 2006 übernahm die US-amerikanische Carlyle-Group Engels Anteile am Ihmezentrum. Tatsächlich begannen Sanierungsarbeiten, sie aber mussten 2009 gestoppt werden, weil die beauftragten Baufirmen nicht bezahlt wurden. Carlyle beantragte Insolvenz für die an hannoverschen Vorhaben beteiligten Projektgesellschaften, für die Anteile am Zentrum wurde Zwangsverwaltung angeordnet.

Bei einer Zwangsversteigerung erwarb die Berliner Firma »Steglitzer Kreisel« 2015 das Objekt mit dem Versprechen, die »Stadt in der Stadt« - so wurde das Zentrum mal genannt - zu revitalisieren. Wieder begann ein Stück Sanierung. Lars Windhorst will damit weitermachen, versprach der Unternehmer sinngemäß nach dem Kauf von »Intown«.

So richtig in Gang kam die Sache aber nicht, und so zog die Eigentümerin einer Wohnung vor Gericht und klagte auf baldigen Beginn der Sanierungsarbeiten, denn die 550 Miteigentümer im Wohnbereich litten unter dem schlechten Zustand der Gewerbeflächen, argumentierte die Frau. Einen Gerichtsentscheid wollte Windhorst vermutlich vermeiden, es kam dieser Tage zu einem Vergleich mit den Eigentümern, der besagt: Windhorst bringt die sogenannten Sockelgeschosse mit den Gewerbeflächen, Parkplätzen und Büros in Ordnung.

Das wird mindestens 50 Millionen Euro kosten. Mit einer Sonderumlage werden sich die gewerblichen Eigentümer daran beteiligen, so lautet der Konsens. Windhorst wird den Löwenanteil beisteuern, denn: Nur mit einer ordentlichen Immobilie lasse sich Geld verdienen, zitiert die Hannoversche Allgemeine Zeitung den Unternehmer.

Er gilt als schillernde Gestalt in der Businesswelt. Schon mit 16 Jahren hatte er seine erste Firma gegründet, eine Electronics-GmbH, die bereits im ersten Geschäftsjahr 80 Mitarbeiter hatte und 50 Millionen US-Dollar Umsatz erzielte. Das »Wunderkind« der deutschen Wirtschaft erregte Aufsehen, wurde von Kanzler Helmut Kohl auf Delegationsreisen mitgenommen, erlebte in den folgenden Jahren beim Engagement auf vielfältiger wirtschaftlicher Ebene allerlei Höhen und Tiefen eines Managerlebens.

Das Vermögen des gebürtigen Ostwestfalen wird auf etwa 800 Millionen Euro geschätzt. Im vergangenen Jahr hatte Windhorst Schlagzeilen gemacht, als er sich mit 225 Millionen Euro am Berliner Sportverein Hertha BSC beteiligte; das sind 49,9 Prozent vom Vermögen des Bundesligisten.

Hannover wartet nun gespannt auf den Beginn der Arbeiten am Ihme-Zentrum. Vor allem dessen Bewohner hoffen, das »endlich mal etwas Gutes« darüber berichtet wird und nicht mehr solche Geschichten erzählt werden wie die vom »streng geheimen« U-Bahnhof in einem »ganz tiefen« Keller des Komplexes. Und von den beiden Studenten, die ihn auskundschaften wollten und seither verschollen sind. Quatsch. Wahr dagegen ist es, dass die Rote Armee Fraktion zeitweise im Zentrum eine Wohnung gemietet hatte. Die Polizei fand in der RAF-Behausung seinerzeit Material, das zur Herstellung eines Raketenwerfers geeignet war, einer »Stalinorgel«

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