nd-aktuell.de / 10.02.2020 / Kultur / Seite 13

Gestern, heute, morgen

Warum alle deutschen Parteien irgendwann wurden wie die FDP: Eine schnelle Geschichte des deutschen Antikommunismus

Tim Wolff

Die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP), das sagt schon der Name, wurde, vor ziemlich genau 100 Jahren, als Kampfprojekt gegen den internationalen Kommunismus gegründet. Der »Dolchstoß«, die angeblich so schlimmen Erfahrungen der Münchner Räterepublik und die Angst vor den in Russland rabiat erfolgreichen Bolschewisten trieben die Nazis an. Ihr Antisemitismus war anfangs nachrangig, erwies sich aber später als Trumpf, weil man sich mit ihm antikapitalistisch geben konnte, ohne kommunistisch sein zu müssen. Die Behauptung, »die Juden« stünden hinter allem, Kapitalismus wie Kommunismus, und ohne sie werde sich alles zum Besseren wenden, genügte im Land der Dichter und Denker, um Massen zu mobilisieren und die Macht zu übernehmen.

Der dann folgende brutale antikommunistische und antisemitische Feldzug, der auch eine Rache für den verlorenen Ersten Weltkrieg sein sollte, war auch möglich, weil die kriegsmüden bzw. -scheuen kapitalistischen Mächte Großbritannien und USA den gemeinsamen Feind im Kommunismus erkannten und deswegen den Feind des Feindes erst mal machen ließen. Auch im entfesselten Vernichtungskrieg der Deutschen lehnten sie sich so lange zurück, bis die Sowjetunion (die dank stalinistischen Industralisierungsterrors zu einem wichtigen und gefährlichen Unternehmen auf dem Weltmarkt geworden war) mit Hilfe einer Materialschlacht, die sie 20 Millionen Menschenleben kostete, Nazideutschland wesentlich geschwächt hatte. Es war nicht ganz unpraktisch, dass der eigentliche Feind derart traktiert wurde, aber gewinnen durften die Nazis auch nicht. Der kurze gemeinsame Kampf und der Sieg ließen der »ersten Welt« die Sowjetunion noch weltmächtiger erscheinen und bescherte dieser ein Einflussgebiet, das bis in die Mitte Europas reichte.

Also entschied man sich, Deutschland nicht komplett zu zerschlagen, wie es sich es redlich verdient hatte, sondern seinen Teil mit Marshallplan und rascher »Entnazifizierung« gegen die bis Berlin gelangte Sowjetunion in Frontstellung zu bringen. Dabei entstanden ein Grundgesetz aus Weimarer, nationalsozialistischen und marktwirtschaftlich-liberalen Paragrafen und Parteien wie die FDP, die nationalsozialistisches Erbe (vor allem im Personal) mit dem neuen, dank der Niederlage der Deutschen unausweichlichen Wirtschaftsliberalismus angloamerikanischer Prägung versöhnten - es ging ja weiter gegen den gemeinsamen Feind.

Das mit dem Antisemitismus erledigte sich von selbst; es gab ja keine Juden mehr, an dem er sich ausagieren konnte. Er überlebte unter der Oberfläche des rituellen Niewiederwehretdenanfängen. Außerdem gab es genug (nicht zuletzt Linke), die ihn in einen vor allem kulturell geprägten Antiamerikanismus integrierten. Und so entstand eine westdeutsche Demokratie, aus deren neuem Antikommunismus immer wieder der alte hervorbrach. Der Wechsel zwischen altem Faschismus und neoliberalem Antikommunismus kam in freiheitlichen Parteien besonders zum Vorschein (vor allem in Österreich, wo der Mythos, »Hitlers erstes Opfer« gewesen zu sein, alles noch unverblümter macht), aber nicht nur in diesen.

Mit dem Zusammenbruch der an ihrem Anspruch, hehre Theorie Praxis werden zu lassen, gnadenlos gescheiterten Sowjetunion und der mit diesem Scheitern einhergehenden Aufgabe aller Utopien, die den Kapitalismus zu überwinden wünschen, wurde praktisch die gesamte deutsche Parteienlandschaft zur FDP. Was sie alsbald unnötig werden ließ.

Der nun objektlos gewordene Antikommunismus richtete sich bald gegen alles, was irgendwie noch halbwegs links erschien, Ansprüche Marginalisierter etwa, die im erlernten Furor des Antikommunismus gleich als diktatorische linke Macht fantasiert wurden (»politische Korrektheit«).

Nach ein paar Anlässen, in denen die deutsche Regierungspolitik tatsächlich linksliberal erschien, richtete sich die antikommunistische Wut schließlich sogar gegen die Regierungspolitik. Gleichzeitig durften die Ostdeutschen erleben, was Kapitalismus bedeutet, wenn man keinen Startvorteil hat, und verklärten einen der unsympathischsten Aspekte der DDR, deren kleinbürgerliche Heimattümelei und Abschirmung vor der Welt. Und so kam es mit der AfD zur Abspaltung von der ideellen Gesamt-FDP als Erbe der antikommunistischen Faschistenintegration; gegründet als nationalistische kapitalistische Alternative gegen den internationalen Kapitalismus, jederzeit anschlussfähig an das, was mit der NSDAP begann.

Die restlichen Antikommunisten stehen nun dumm da, in einer Welt, in der sich die kapitalistischen Widersprüche zuspitzen, seit die sowjetische Bedrohung nicht mehr mäßigend wirkt. Und mit der Klimakatastrophe beschleunigt sich das alles noch (in den letzten dreißig Jahren wurde mehr CO2 produziert als insgesamt zuvor). Das Deutschland, das aus dem Scheitern des NSDAP-Antikommunismus hervorgegangen war, könnte nur wiederhergestellt werden, wenn sich der im Rahmen kapitalistischer Arbeitskraftverwertung weltoffen gewordene wieder mit dem AfD-Teil versöhnt. Doch wie? Der Deutsche will seit eh und je vor allem seinesgleichen auf seinem Stückchen Land (»Blut und Boden«) und seine Ruhe. Wird diese gestört, ist jeder willkommen, der aufräumt. Und wenn es dabei brutal zugeht, ist das schade, aber auch nicht wirklich schlimm. Hinterher hat man einfach nix gewusst.

Die einzige realistische Alternative zum offenen Faschismus der AfD dürfte die österreichische sein: ein neoliberaler Faschistenfreund der Marke Kurz, der die neoliberalisierten Grünen nutzt, um nach außen das noch mörderischere Grenzregime zu exerzieren, das die Klimakatastrophe hervorbringen wird, und nach innen die scheinbare Konsumaskese durchzusetzen, als Ablenkung von der tatsächlichen Ursache, der kapitalistischen Produktionsweise.