nd-aktuell.de / 09.03.2020 / Politik / Seite 6

Italien im Ausnahmezustand

Seit dem Ausbruch des Corona-Virus hat das ganze Land mit den Folgen zu kämpfen

Anna Maldini, Rom

Ganz Italien ist im Ausnahmezustand - wirklich ganz Italien. Als letztes Gebiet ist inzwischen auch das Aostatal, die kleine Region ganz im Nordwesten des Landes von der Epidemie betroffen. Und wenn die strengsten Verordnungen auch »nur« die Lombardei und einige angrenzenden Gegenden betreffen, hat sich das Leben im gesamten Mittelmeerland drastisch verändert.

In der »roten Zone« leben etwa 16 Millionen Menschen unter Quarantäne. Sie dürfen das Gebiet nur mit Erlaubnis der Gesundheitsbehörden verlassen - einreisen darf auch niemand. Wenn man sich anderswo in Italien aufhält, aber aus dem »Sperrgebiet« kommt, muss man sich bei seinem Hausarzt melden und dann selbst möglichst für 14 Tage isolieren. Die Menschen aus der Lombardei fühlen sich inzwischen wie Aussätzige und verstehen, wie sich noch vor wenigen Wochen die Chinesen fühlten, als sie es waren, die von den Italienern mit großem Misstrauen betrachtet wurden. Heute ist es umgekehrt: Viele in Italien lebende Chinesen kehren in ihre Heimat zurück, weil sie der Ansicht sind, dass man dort effektiver mit dem Virus umgeht.

Jeden Nachmittag, gegen 18 Uhr, hält der Chef des Katastrophenschutzes, Angelo Borrelli, eine Pressekonferenz ab, in der er die letzten Zahlen bekannt gibt: Am Samstagabend gab es 5061 Infizierte (etwa 80 Prozent davon symptomfrei), 1145 mehr als am Vortag. Gestorben sind 233 Menschen. Die Zahl der Kranken ist enorm. Aber - so betonen Experten immer wieder - das liegt auch daran, dass in Italien schon länger und mehr Tests durchgeführt werden, als anderswo. Die Toten waren im Durchschnitt 81 Jahre alt, mehr Männer als Frauen und ausschließlich Personen, die unter einer oder mehreren chronischen Krankheiten litten. Gleichzeitig steigt auch die Anzahl der Geheilten, ihre Zahl beläuft sich jetzt auf 589.

»Wir alle müssen unser Leben ändern«, erklärt Angelo Borrelli immer wieder. Das heißt, dass man die sozialen Kontakte auf ein Minimum beschränken soll - aber da Kinos, Theater, aber auch Kneipen und Spielsäle bis auf weiteres geschlossen sind und auch viele hier so beliebten Kaffeebars zugemacht haben, bleibt einem nichts anderes übrig. Außerdem soll man immer einen Abstand von mindestens einem Meter zu seinem Nächsten halten, was in öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch in den Supermärkten schwierig ist. Selbst das obligatorische Händedesinfizieren ist nicht so einfach, da die entsprechenden Mittel auf dem »freien Markt« nur schwer erhältlich sind. Eine - allerdings eher ironische gemeinte - »Verschwörungstheorie«, die in Italien kursiert, besagt, dass Corona eine Erfindung der Hersteller von Desinfektionsmitteln und Atemmasken sei. Besonders betroffen sind »ältere« Menschen. Aber ohne die Großeltern geht in Italien nichts, besonders jetzt nicht, wo Kindergärten Schulen noch mindestens eine Woche geschlossen bleiben - bereits jetzt wird über eine Schließung bis Ende März diskutiert.

Und wer soll sich denn um die Kleinen kümmern, wenn nicht Oma und Opa? Es heißt, dass ein Elternteil unbezahlten Urlaub nehmen darf oder ansonsten Babysitter vom Staat bezahlt werden - aber offiziell ist das nicht geregelt, und niemand weiß, wie das funktionieren soll und wer die Kosten übernehmen wird. Auch die Menschen, die in Altersheimen leben, müssen mehr als andere leiden, da sie keinen Besuch von ihren Angehörigen erhalten dürfen.

Dazu gibt es dann auch noch andere Probleme, die für einige Menschen wahrscheinlich nebensächlich erscheinen, über die in Italien aber fast jeder spricht: Fußball. Soll man die Meisterschaft vielleicht ganz abbrechen - diese Frage wurde noch nie zuvor gestellt - oder erst einmal ohne Publikum spielen? Dagegen wehren sich allerdings die Spieler selbst, die anmerken, dass sie den obligatorischen Abstand von mindestens einem Meter beim besten Willen nicht einhalten können. Und kann man die Spiele, zu denen im Augenblick niemand gehen darf, nicht wenigstens im Fernsehen übertragen? Und wie ist es mit den anderen Sportarten?

Inzwischen grassiert das Virus weiter und hat jetzt auch einige »Promis« erfasst. Darunter die Ministerpräsidenten der Regionen Lazium und Piemont und einen Leibwächter des Lega-Chefs Matteo Salvini. Zumindest bleibt der Bevölkerung die Gewissheit: Corona macht vor niemandem Halt.