nd-aktuell.de / 14.03.2020 / Politik / Seite 4

Die Stunde der Spekulanten

Notizen aus einer schwarzen Börsenwoche.

Stephan Kaufmann

Das Coronavirus breitet sich in Windeseile über den Globus aus - die Finanzmärkte sind schneller. Aktienbörsen verzeichnen dieser Tage ihre schlimmsten Einbrüche seit der großen Krise ab 2008. Wie immer gibt es neben den Verlierern auch einige Gewinner. Notizen aus dem ganz normalen Irrsinn.

Schwarze Tage: An den Finanzmärkten ist ordentlich Geld verbrannt worden. Von Mitte Februar bis zu Beginn dieser Woche hatte die Coronakrise weltweit bereits Finanzvermögen über zehn Billionen Dollar vernichtet. Bis diesen Donnerstag dürften nochmal zehn Billionen dazugekommen sein. 20 Billionen, das sind 20 000 Milliarden Dollar - eine Stange Geld. Damit könnte man 120 Jahre lang die gesamte weltweite Entwicklungshilfe des Jahres 2019 finanzieren oder über 4000 Jahre die Weltgesundheitsorganisation WHO. Man könnte jedem der extrem Armen auf dem Globus 33 000 Dollar in die Hand drücken - genug um 48 Jahre auf Armutsniveau zu überleben - oder jedem Geflüchteten knapp 480 000 Dollar. Aber vorerst sind diese Billionen weg, und an den Börsen hofft man, dass sie bald wiederkommen. Allerdings nicht zu den Armen. »Anleger sollten sich nach Abklingen der Pandemie mittelfristig auf eine der besten Anlagemöglichkeiten am Aktienmarkt während der vergangenen Jahrzehnte vorbereiten«, rät eine deutsche Bank.

Goldene Zeiten: Nicht alle verlieren im Crash. Denn schlaue Finanzarchitekten haben Mittel und Wege ersonnen, wie man auch an fallenden Kursen verdienen kann. Zum Beispiel mit QQQ Capital. 77 Prozent Gewinn machte der Hedge Fonds laut Agentur Bloomberg allein im Januar und Februar. Der Fonds aus Singapur wettete gegen die Aktienkurse von Fluggesellschaften, Hotels und gegen den amerikanischen Aktienindex S&P 500. Zudem rechneten die Manager von QQQ Capital damit, dass die Menschen wegen des Virus zu Hause am Computer bleiben und setzten daher auf Aktien wie Netflix, das Online-Bildungsportal TAL sowie auf Titel von Online-Spieleanbietern.

Sichere Orte: Von der Suche der Investoren nach »sicheren Häfen« für ihr Geld profitierten vor allem die Heimatstaaten des globalen Kapitals. Die Staatsanleihen von Ländern in Westeuropa und Nordamerika legten kräftig zu. Spiegelbildlich ist ihre Rendite gesunken: Zehnjährige Schuldscheine der US-Regierung bringen erstmals in der Geschichte weniger als ein Prozent. Deutsche Bundesanleihen rentieren mit -0,8 Prozent. Sichere Anlagen bringen also sichere Verluste. Oder anders: Sicherheit gibt es an den Finanzmärkten nicht mehr. Noch vor kurzem wurden die niedrigen Zinsen der Europäischen Zentralbank zur Last gelegt - sie würde »die deutschen Sparer enteignen«, hieß es. Die jüngsten Entwicklungen an den Aktien- und Anleihemärkten zeigen jedoch: Niemand enteignet so schwungvoll wie der Markt selbst.

Fallende Preise: Mit der kommenden Wirtschaftskrise sinkt absehbar der globale Ölverbrauch. Das hat zu einem Preiskrieg zwischen Saudi-Arabien und Russland geführt. In der Folge ist der Ölpreis an den Rohstoffbörsen am Montag binnen Sekunden um ein Drittel abgestürzt. Auch andere Rohstoffe sind deutlich billiger geworden. Das freut Verbraucher in reichen Ländern. Eine Katastrophe ist das für Rohstoffexporteure. Zum Beispiel Venezuela, Mexiko, Algerien oder Nigeria: Das Land bezieht 90 Prozent seiner Exporteinnahmen aus dem Ölverkauf. Sein Staatshaushalt für dieses Jahr basiert auf einem Ölpreis von 57 Dollar. Doch sind es derzeit nur 33 Dollar. Daher muss das Land, in dem 80 Millionen offiziell Arme leben, nun kräftig sparen. Ebenso wie Algerien, das für die Finanzierung seines Staatshaushaltes eigentlich einen Ölpreis von 109 Dollar braucht. Iran braucht sogar fast 200 Dollar - erstmals seit 60 Jahren bat das Land diese Woche den US-dominierten Internationalen Währungsfonds um Finanzhilfe.

Fliehendes Kapital: Ihre Einnahmeausfälle müssen die Rohstoffexporteure wie auch andere arme Länder zum Teil durch Kredite kompensieren. Doch das wird schwierig. Denn während es das globale Kapital in die industriellen Zentren zieht und dort die Zinsen drückt, flieht es aus den als riskant geltenden Entwicklungs- und Schwellenländern. Das Ergebnis: Deren Währungen fallen, was ihre Importe verteuert. Und die Zinsen steigen - für Südafrikas Regierung zum Beispiel auf über neun Prozent. Geplante Kreditaufnahmen müssen einige afrikanische Regierungen daher absagen. Zu spüren bekommen die armen Staaten die Krise der Industrieländer also erstens durch einen Rückgang der Nachfrage nach ihren Produkten, zweitens durch Preisverfall ihrer Produkte, drittens durch abstürzende Währungen und viertens durch steigende Zinsen. Während das Kapital aus Afrika flieht, reist das Coronavirus aus Europa ein: Der erste Erkrankte in Nigeria kam aus Italien, der erste in Burkina Faso aus Frankreich und der erste in der DR Congo aus Belgien. Das trifft diese Länder, die ohnehin mit Malaria, HIV und anderen Infektionskrankheiten zu kämpfen haben, sehr hart: In Italien, dem Corona-Zentrum Europas, gibt es 41 Ärzte auf 10 000 Einwohner. In Afrika sind es zwei. Das nigerianische Center of Disease Control verfügt über fünf Labors und 250 Angestellte - für fast 200 Millionen Einwohner.

Kritische Ossis: Es gibt eine Gruppe von Menschen, die vom jüngsten Aktiencrash kaum betroffen sind: die Ostdeutschen. Ökonomen aus Frankfurt am Main, Mannheim und dem kalifornischen Berkeley haben die Verteilung des Aktienbesitzes in Deutschland unter die Lupe genommen und herausgefunden: Ostdeutsche halten im Vergleich zu Westdeutschen viel weniger Aktien. Dies sei nicht vollständig damit zu erklären, dass Ostdeutsche ärmer seien als Westdeutsche. Ein Teil der Ursache liegt laut den Ökonomen vielmehr darin, dass Ostdeutsche lange »kommunistischer Propaganda ausgesetzt waren« - also in der DDR gelebt haben. Daher stünden sie dem Aktienmarkt prinzipiell kritischer gegenüber als Wessis. Und wenn sie Aktien hielten, handele es sich dabei überproportional um Titel von Staatsunternehmen sowie von Unternehmen aus dem ehemaligen Ostblock: China, Russland, Vietnam. Besonders unbeliebt seien bei den ostdeutschen Aktionären im Gegenzug Titel aus den USA und aus dem Finanzbereich.