nd-aktuell.de / 23.03.2020 / Politik / Seite 5

Ischgl-Gate: die zweite

SMS-Verkehr eines ÖVPlers zeigt Ausmaß des Skandals

Stefan Schocher

Ischgl ist heute Sperrzone. Ebenso ist es das gesamte Paznauntal. Wo sonst die Skisaison ihrem lukrativem Finale zuläuft, herrscht Stille: Über die gesamte Region wurden Ausgangsregelungen verhängt. Alle Gemeinden stehen unter Quarantäne.

Denn als in Norditalien bereits das Spitalswesen in die Knie ging, dachte man im Paznauntal noch an den Profit. Frei nach dem Motto: Wer in Norditalien nicht Skifahren kann, kann das doch sehr wohl im nahen Tirol. Offensiv wurde geworben, um vergraulte Italien-Ski-Urlauber anzulocken, mit verheerenden Folgen: Tirol und im Speziellen das Paznauntal und Ischgl wurden so zu einem europäischen Verteilerkreis des Virus. Hunderte Menschen dürften sich in der Region angesteckt und das Virus über ganz Europa verteilt haben - vor allem in Deutschland und Skandinavien. So konnten etwa rund die Hälfte der 750 Corona-Fälle in Norwegen Mitte März auf eine Ansteckung in Österreich zurückgeführt werden.

Und nach und nach fügt sich nun ein Bild zusammen, das eine unheilvolle Allianz zwischen Politik, der Liftbetreiberlobby, Hoteliers, Gastronomen und Gesundheitsbehörden in der Region darstellt. Da ist etwa ein SMS-Verkehr zwischen dem ÖVP-Abgordneten Franz Hörl und dem Betreiber der Bar »Kitzloch«: Hörl bittet darin den Wirt am 9. März, doch zuzusperren, um eine vorzeitige Beendigung der Wintersaison abzuwenden. Nach zehn Tagen werde Gras über sie Sache gewachsen sein, so Hörl. Sollten die Medien aber beginnen, sich für das »Kitzloch« zu interessieren, würde Tirol dastehen wie ein »Hottentotten-Staat«. Hörl hat die Echtheit des SMS-Austauschs bestätigt.

Hörl ist nicht nur Abgeordneter der ÖVP, er ist auch Landesobmann des Tiroler Wirtschaftsbundes und Obmann des Fachverbandes der Seilbahnwirtschaft. Klar ist: Die mächtige Liftbetreiberlobby in Tirol wollte eine vorzeitige Beendigung der Skisaison um jeden Preis verhindern und tat dann, als klar war, dass sich eine solche Maßnahme nicht abwenden lässt, alles, um die Schließung der Skiresorts hinauszuzögern.

Hinter dem Zögern stehen Zahlen: Tirol hat 750 000 Einwohner und verzeichnet rund 50 Millionen Nächtigungen pro Jahr. Der Tourismus beschäftigt rund 55 000 Menschen in der Region. Etwa ein Drittel des Umsatzes wird direkt oder indirekt im Tourismus erwirtschaftet. Vor allem aber: Die Bettenburgen und Skischaukeln in den Resorts sind in erster Linie über Kredite finanziert, eine schlechte Saison oder gar ihr Ausfall ist eine regionale Katastrophe.

Und so machten die Tiroler Skigebiete erst am 15. März zu. All das zu einem Zeitpunkt, als seitens Norwegen, Deutschland, Schweden und Island bereits seit mehr als einer Woche Warnungen und Hinweise bei den Tiroler Behörden eingingen, dass Ischgl und das Paznauntal Ansteckungsherde sein müssen. Doch Einsicht ließ auf sich warten. Noch am 16. März gab der Tiroler Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg ein bemerkenswertes Interview im ORF. Seine Kernaussage: Die Tiroler Behörden haben alles richtig gemacht. Erst Tage später räumte Landeshauptmann Platter ein: »Alles richtig zu machen, ist angesichts dieser Krise, die weltweit einzigartig ist, nicht möglich. Das müssen wir eingestehen.«