nd-aktuell.de / 25.03.2020 / OXI

Was die »Klapperkiste« hergibt

Portugal hat sich unter Mitte-links-Regierungen weitgehend vom Austeritätsdiktat verabschiedet. Der Kurswechsel ist aber nicht frei von Widersprüchen

Kim Schröther

Es war eigentlich zunächst als abwertende Bezeichnung gemeint, doch die portugiesische »Klapperkiste« funktioniert: Als »schräges Konstrukt« hatte ein rechtskonservativer Politiker 2015 die Bildung einer sozialdemokratischen Minderheitsregierung unter Duldung dreier Linksparteien bezeichnet. Doch das Bündnis von António Costa mit dem Bloco de Esquerda, der Partido Comunista Português und der linksgrünen Os Verdes war erfolgreich. Im Spätherbst 2019 gelang Costa die Wiederwahl mit Zugewinnen, die linken Partner verloren nur leicht – und das konservative Lager verlor ziemlich deutlich.

Zwar setzte der sozialdemokratische Premier in seiner zweiten Amtszeit das Tolerierungsabkommen mit dem Linksblock und den Kommunisten nicht fort. Dennoch ist inzwischen gern vom »portugiesischen Wunder« die Rede, viele Beobachter führen das nicht zuletzt auf die Erfolge in der Wirtschaftspolitik zurück. Hier vollzog Portugal, eines der am stärksten von der Staatsschuldenkrise betroffenen Länder, seit 2015 eine deutliche Kehrtwende – weg von einem ökonomisch fragwürdigen Kurs der Austerität, hin zu einem Versuch, sowohl Haushaltskonsolidierung als auch wirtschaftliche Erholung, Binnennachfrage und soziale Belange unter einen Hut zu bekommen.

In der traditionellerweise linker Wirtschaftspolitik eher distanziert gegenüberstehenden FAZ war unlängst der Satz zu lesen, »das Land hat offenbar einiges richtig gemacht«. 2011 hatten EU und Internationaler Währungsfonds noch ein Kreditpaket von 78 Milliarden Euro geschnürt, um das Land vor der Staatspleite zu bewahren. Wie bei der seinerzeit dominierenden Krisenpolitik üblich, war die »Hilfe« mit strengen Auflagen verknüpft, die im Grunde auf eines hinausliefen: kürzen, kürzen, kürzen. Der damalige sozialdemokratische Regierungschef José Sócrates war im Juni 2011 aus dem Amt zurückgetreten, weil sein »Sparpaket« keine Mehrheit gefunden hatte. Bei den Neuwahlen setzten sich die Konservativ-Liberalen unter Pedro Passos Coelho durch. Und dessen Regierung folgte dem oktroyierten Austeritätskurs.

Wächter des Wandels
Die Mitte-links-Regierung in Spanien kommt bei dem Versuch, die Krisenpolitik der Vergangenheit zu korrigieren, nicht recht voran[1]

Unter Nachfolger António Costa änderte sich das. Kürzungen von Beamtengehältern und Renten wurden zurückgenommen, Steuererhöhungen und Privatisierungen wieder kassiert, der Mindestlohn wurde erhöht, die Einführung der 35-Stunden-Woche erfolgte. Prompt stieg die Kaufkraft, die Wirtschaftsleistung zog deutlich an, die Einnahmen des Staates verbesserten sich – und so konnte auch ein Teil der Staatsverschuldung abgebaut werden.

Wenn nun Zeitungen wie die FAZ meinen, »der Wandel vom EU-Sorgenkind zum Musterknaben« sei »erstaunlich«, ist man geneigt daran zu erinnern, dass genau dies nicht nur von kritischen Ökonomen schon länger gefordert worden war: ein Ende des faktisch ausschließlich auf Austerität setzenden »Rettungskurses«. Portugal konnte sich jedenfalls zum Teil aus jener Klammer der Sparauflagen lösen, welche die linksgeführte Regierung in Griechenland so fest umschloss, dass ihr schließlich die Mehrheit verloren ging. Wer sich an die Äußerungen vor allem deutscher Politiker in Richtung Athen erinnert, die den Syriza-Wahlerfolg 2015 am liebsten verhindert hätten, mag ermessen, wie viel politische Logik in den ökonomischen Vorgaben lag.

Dass die sozialdemokratische Regierung in Portugal heute anders dasteht, ist allerdings nicht frei von Widersprüchen. Die »Anti-Austeritäts-Regierung« sei »erfolgreich«, konstatierte kurz vor den Wahlen im vergangenen Spätherbst Mario Candeias, Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse der linken Rosa-Luxemburg-Stiftung. » Sie konnte spürbare Verbesserungen durchsetzen und sich gegen die Zumutungen der europäischen Institutionen zur Wehr setzen.« Zugleich verwies Candeias darauf, dass »die veränderten Kräfteverhältnisse im Bündnis«, hier geht es vor allem um die Schwäche der Linkspartner, »es immer schwieriger« machten, »der Regierung ernsthafte linke Projekte abzutrotzen«.

Nach den Wahlen brachte António Costa seinen Haushalt ohne größere Schwierigkeiten durch – trotz fehlender Mehrheit und obwohl die »verhandelte Tolerierung« mit den Linken beendet wurde. Diese hatten sich bei der Etatabstimmung enthalten, für ein Ja waren zuvor vergeblich Korrekturen am Haushalt gefordert worden. Dabei ging es etwa darum, die Mehrwertsteuer auf die Stromrechnung von 23 auf 6 Prozent zu senken.

Auch die Gewerkschaften wollten sich dem Selbstlob von Costa und seinem Finanzminister, dem Eurogruppenchef Mário Centeno, die vom »besten Haushalt« seit Langem sprachen, nicht anschließen. Die Beschäftigtenorganisationen kritisierten vor allem, dass Mehreinnahmen nicht in Investitionen in das Gesundheitswesen und die Erhöhung der Bezüge im öffentlichen Dienst geflossen sind. Auf der anderen Seite stützen die Gewerkschaften zum Teil einen Kurs niedriger Löhne, weil dies die Wettbewerbsposition des Landes stärken und neue Arbeitsplätze schaffen könne. Viele Menschen arbeiten weiterhin im Niedriglohnsektor.

In der Tat wächst Portugals Ökonomie seit Längerem schneller als in vielen vergleichbaren europäischen Staaten. Ein Grund: die insgesamt günstige Konjunktur. Ein zweiter: Zwischen 2014 und 2020 hat Portugal rund 25 Milliarden Euro aus den Europäischen Investitions- und Strukturfonds erhalten. Doch auch die neue Wirtschaftspolitik macht sich deutlich bemerkbar. Die Arbeitslosenquote sank seit dem Höchststand von 2013 um 10 Prozentpunkte auf um die 6 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt stieg zwischen 2016 und 2019 im Schnitt jährlich um fast 2,5 Prozent. Die Exporte erholten sich deutlich, der Tourismus boomt.

Bei der deutschen Außenhandelsgesellschaft GTAI heißt es aktuell, »die portugiesische Wirtschaftsleistung wächst weiterhin, die Dynamik schwächt sich jedoch etwas ab. Mit einem erwarteten realen Zuwachs um 1,7 Prozent im Jahr 2020 steht das Land im europäischen Vergleich gut da.« Der Ökonom Karl-Heinz Dahm sieht den Aufholprozess auch deshalb gelungen, weil im 3. Quartal 2019 das Bruttoinlandsprodukt »erstmals wieder über dem Vorkrisenniveau von 2008 lag«. Unternehmen würden weiterhin in die Modernisierung ihrer Produktionsstätten und den Aus- und Aufbau von Kapazitäten investieren, die Bauwirtschaft floriert dank des Höhenfluges im Wohnungsbau. Auch die Aussichten für den Dienstleistungssektor seien günstig. Beim Konsum wird für 2020 mit einer schwächeren Zunahme gerechnet. Der Arbeitsmarkt soll weiter wachsen, aber nicht mehr mit der gleichen Dynamik. Gerechnet wird mit einem weiteren Rückgang der Erwerbslosigkeit auf unter 6 Prozent.

Ein Problem bleiben die vergleichsweise geringen öffentlichen Investitionen. 2019 hat die Regierung die selbstgesteckten Ziele um fast eine halbe Milliarde Euro reduziert. Hierin drückt sich auch weiterhin António Costas Festhalten an dem Ziel der Haushaltskonsolidierung aus. Was als »disziplinierte« Etatpolitik bezeichnet wird, hat Folgen: Zwar sinkt der Schuldenstand, aber der öffentliche Kapitalstock und die Substanz des Gemeinwesens leiden. Laut EU wird für dieses Jahr mit öffentlichen Investitionen in Höhe von 2,2 Prozent des BIP gerechnet. Zum Vergleich: Anfang der 2000er Jahre lag dieser Wert noch über 4 Prozent.

Und so mehren sich die Sorgen, dass das vergleichsweise gute Konjunkturumfeld irgendwann ausläuft. So muss Portugal im neuen EU-Haushalt mit etwa 7 Prozent weniger Fördermitteln auskommen, die anhaltende weltwirtschaftliche Unsicherheit lastet auf den Exportbranchen, ein längst erwarteter deutlicherer Umschlag des kapitalistischen Konjunkturzyklus wirft Schatten voraus.

Und diese Schatten fachen auch wirtschaftspolitische Debatten wieder an. Vor den Europawahlen im vergangenen Jahr hatte Pedro Marques, der Spitzenkandidat der portugiesischen Sozialdemokraten, noch davon gesprochen, dass man gezeigt habe, »dass es möglich ist, Arbeitsplätze zu schaffen, Armut und soziale Ungleichheit zu reduzieren, sowie Investitionen und Wirtschaftswachstum zu fördern, und gleichzeitig die öffentlichen Ausgaben zu kontrollieren«. Dies sei ein »neuer Sozialvertrag«, und eine »politische Alternative zur Sparpolitik und zu einer sehr liberalen Wirtschaftspolitik«.

Der frühere sozialdemokratische Wirtschaftsminister Augusto Mateus sieht allerdings auch die Probleme. Die sozialdemokratische Regierung stehe weiterhin vor der Aufgabe, »ein Gleichgewicht zwischen Sozialpolitik und Wettbewerbspolitik« zu schaffen. Wer nicht die Grundlage für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft lege, werde sich »an der sozialen Frage verheben«.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1134715.krisenpolitik-in-spanien-waechter-des-wandels.html