nd-aktuell.de / 30.03.2020 / Politik / Seite 2

Parkbesucher müssen Sitzbänke links liegen lassen

Regelung zu Sport in der sächsischen Allgemeinverfügung zur Coronakrise führt zu Wirrwarr / Kritiker fürchten Blaupause für dauerhafte Eingriffe in Freiheitsrechte

Hendrik Lasch

Wer sich in sächsischen Parks dieser Tage auf einer Bank niederlässt, riskiert zum Fall für die Polizei zu werden. Im Leipziger Lene-Voigt-Park etwa fuhr diese jüngst mit dem Lautsprecherwagen vor und hielt Parkbesucher zum Weitergehen an. Diese könnten «spazieren gehen oder Sport treiben»; das «Verweilen an einem Ort, das Sitzen auf einer Parkbank oder einer Decke» jedoch entspreche «nicht der Allgemeinverfügung».[1]

Die Verfügung wurde in Sachsen am 22. März erlassen. Ziel ist es, die Kontakte zwischen Menschen «auf ein Minimum» zu beschränken, um so die Ausbreitung des Coronavirus zu erschweren. Die Wohnung zu verlassen, ist nur noch aus «triftigem Grund» erlaubt. Eine Auflistung nennt die wesentlichen: von Arbeit über Einkäufe bis zu Beerdigungen. Punkt 13 regelt auch «Sport und Bewegung an der frischen Luft». Beides ist erlaubt - jedoch nur im «Umfeld des Wohnbereichs» und «ohne jede Gruppenbildung größer als fünf Personen».

Nicht zuletzt diese Regelung sorgt seither für Diskussionen. Dabei geht es weniger um Fälle wie die zweier Skiläufer, die gut 100 Kilometer zum Fichtelberg anreisten, wo sie einen Platzverweis kassierten; oder den eines Zittauers, der laut Polizei mit seinem Hund im Zug ins 120 Kilometer entfernte Freital fahren wollte, um dort Sport zu treiben. Innenminister Roland Wöller (CDU) erntet auch wenig Widerspruch, wenn er auf Anfrage klarstellt, dass Dresdner zum Wandern derzeit nicht in die Sächsische Schweiz fahren dürften.

Deutlich mehr Unmut erregten indes Polizeikontrollen am Cospudener See im Leipziger Süden, bei denen eine angebliche Regelung durchgesetzt werden sollte, wonach das «Umfeld des Wohnbereichs» einen Radius von fünf Kilometern umfasse. Die Polizei räumte später selbst ein, ihre «interne Handlungsorientierung» stehe im Widerspruch zu Vorgaben des Sozialministeriums; die Beschränkung auf fünf Kilometer «besteht nicht».

Nicht nur in diesem Fall zeigte sich, dass die Regelungen der Verfügung viel Spielraum zur Interpretation offenlassen. Der Chemnitzer Journalist Johannes Grunert hat Belege für den entstandenen Wirrwarr gesammelt. «Sich als Paar mit mehr als drei Kindern an der frischen Luft bewegen» sei laut Corona-Hotline des Sozialministeriums okay, gemäß Wortlaut der Allgemeinverfügung aber nicht. In einem Chemnitzer Naherholungsgebiet mit einer Person aus dem eigenen Haushalt Sport treiben sei okay, mit einer ebensolchen Tischtennis spielen aber nicht. Grunerts skurrile Liste, die er auf Twitter publiziert, wird täglich länger. Ein Leser kommentierte: «Wenn es nicht so lustig wäre, müsste man heulen.»

Es ist ein Durcheinander mit Ansage. Wöller sagte, man habe beim Verfassen der Allgemeinverfügung «bewusst Wert darauf gelegt, einen unbestimmten Rechtsbegriff zu wählen». Offenbar wollte man so auf unterschiedliche Lebenssituationen von Bürgern reagieren - oder sich das detaillierte Ausarbeiten von Kriterienkatalogen ersparen. Die Folge sei aber «restriktives, zum Teil widersprüchliches Handeln der Polizei», kritisiert Jule Nagel, Linke im Landtag. Johannes Lichdi, Anwalt und grüner Abgeordneter im Dresdner Stadtrat, hält das für kontraproduktiv. In der Bevölkerung gebe es weitgehendes Verständnis für die Notwendigkeit, Abstand zu halten. Die Polizei solle dies «nicht durch provozierende oder unverständliche und scharfe Eingriffe gefährden», warnt er auf seinem Blog und fügt an, Fingerspitzengefühl sei «rechtlich kaum zu fassen, aber dennoch eine politisch und rechtlich relevante Kategorie».

Doch nicht nur die Frage der konkreten Auslegung einzelner Regelungen der Allgemeinverfügung stößt auf Kritik. Fragen wirft auch ihr Zustandekommen auf. Die Linksabgeordnete Nagel weist darauf hin, dass Sachsens CDU-Regierungschef Michael Kretschmer noch am 20. März erklärt hatte, eine Ausgangssperre «will niemand, da sie das Leben massiv einschränken würde». Man setze daher auf bereits laufende, mildere Vorgaben und wolle schauen, «ob diese in den nächsten 14 Tagen die erhoffte Wirkung zeigen». Nur zwei Tage später erging die Verfügung - weil sich, wie Wöller sagte, noch zu viele Menschen im öffentlichen Raum träfen. Nagel will nun per Kleiner Anfrage in Erfahrung bringen, welche Daten zu der Einschätzung führten. Sie gehe davon aus, dass der «Plan zur Verschärfung » bereits Tage vor dem eigentlichen Erlass getroffen war«.

Dieser wird mittlerweile auch in Sachsen auf juristischem Weg angefochten, nachdem es zuvor in Bayern bereits eine erfolgreiche Klage gab. Nach Angaben von Sachsens Innenministerium wies das Verwaltungsgericht Chemnitz zwar einen Antrag auf einstweilige Verfügung ab; zwei Anträgen in Leipzig und Dresden sei aber stattgegeben worden. Das Ministerium stellte klar, dass die Auflagen dennoch in Kraft blieben. Gleichzeitig soll die Verfügung Anfang der Woche durch eine Rechtsverordnung ersetzt werden, die sich auf das vom Bundestag gerade geänderte Infektionsschutzgesetz stützt.

Wie lange sie in Kraft bleibt und wie die aktuellen Beschränkungen in Zukunft fortwirken, wird kritisch beobachtet. Lichdi fragt, ob die jetzigen Eingriffe »Test und Blaupause für dauerhafte Eingriffe bis zur Abschaffung der Demokratie« seien. Ein »gesundes demokratisches Misstrauen«, fügt er an, sei »notwendiger denn je«.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1134778.coronakrise-ein-bisschen-polizeistaat.html?sstr=DAniel|Lücking