nd-aktuell.de / 01.04.2020 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 7

Warum Masken Mangelware wurden

Ralf Klingsieck

Atemschutzmasken sind in diesen Zeiten ein gewohnter Anblick, auch in Frankreich. Hier sorgen sie aber auch für große Debatten, denn sie reichen nicht einmal für die Ärzte und das medizinische Personal. Um die Gemüter zu beruhigen, hatte Gesundheitsminister Olivier Véran angekündigt, in Kürze 20 Millionen Masken an Gesundheitseinrichtungen und Altenheime zu liefern.

Im Inland gibt es kaum noch Produzenten

Andere gefährdete Menschen wie Kassiererinnen in Supermärkten, Briefträger und Boten, die per Internet bestellte Waren ins Haus bringen, Beschäftigte in der Nahrungsgüterindustrie oder der Logistik und auch Polizisten, die das Ausgehverbot kontrollieren, tragen fast nie eine Maske. Ihre Arbeitgeber sind offenbar nicht in der Lage, diese bereitzustellen. Behörden und Unternehmen versuchen jetzt, neue Masken zu ordern. Aber im Inland gibt es wenige Hersteller, und der bisherige Hauptlieferant China kurbelt nach der Quarantänezeit gerade erst wieder die Produktion an.

In schmerzliche Erinnerung gerät nun, dass der US-Konzern Honeywell Safety sein französisches Werk in Plantel in der Bretagne 2018 geschlossen und die Produktion nach Tunesien verlagert hat. Bis zu 200 Millionen Atemschutzmasken pro Jahr, die jetzt dringend benötigt werden, wurden hier hergestellt. Honeywell begründete den Schritt damals damit, dass der Betrieb nicht mehr rentabel sei, da die einst umfangreichen Staatsaufträge ausblieben.

Strategische Reserve fiel dem Sparzwang zum Opfer

Tatsächlich gab es früher in Frankreich eine strategische Reserve, die sich 2012 noch auf 1,4 Milliarden Atemschutzmasken belief. Doch das änderte sich unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande. Im Zuge der Sparpolitik nicht zuletzt im Gesundheitswesen wollte man die jährlich etwas mehr als 50 Millionen Euro einsparen, die die Lagerung der Staatsreserve und das Ersetzen überalterter Masken durch neue kostete. Regierungschef Jean-Marc Ayrault ordnete per Dekret an, dass nun »jeder Arbeitgeber im Rahmen des Schutzes seiner Beschäftigten für das Anlegen von Vorräten an Schutzmaterial zuständig« sei. Das betraf große wie kleine, private wie staatliche Unternehmen, aber auch alle Krankenhäuser und Arztpraxen. Doch viele haben das vernachlässigt, teils aus finanziellen Gründen. Insbesondere das staatliche französische Gesundheitswesen, das früher zu den besten der Welt gehörte, kämpft mit einem eklatanten Mangel an Personal, Betten, Technik und finanziellen Mitteln. Darauf machten die Beschäftigten lange vor der Coronakrise mit monatelangen Protestaktionen aufmerksam. Erst kürzlich veröffentlichten 2000 Chef-, Ober- und Stationsärzte aus dem ganzen Land einen offenen Brief über die Missstände.

Die Staatsreserve an Atemschutzmasken betrug Anfang dieses Jahres, bevor die Corona-Pandemie Frankreich erreichte, nur noch 117 Millionen Stück. Der bekannte Immunologe Jean-François Delfraissy spricht von einem »Riesenskandal«. Politiker der gegenwärtigen und der früheren Regierungen schieben sich die Verantwortung für den Mangel gegenseitig zu. Oppositionspolitiker fordern, zur Klärung der Schuldfrage nach der Epidemie einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzusetzen.