»Bringt die Geflüchteten in Hotels unter«

Abstand halten unmöglich: In Bremen wird wegen Corona für die Schließung einer Erstaufnahmeeinrichtung protestiert.

  • Sabine Netz
  • Lesedauer: 4 Min.

Bewohner*innen der Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in der Lindenstraße in Bremen tanzen und klatschen vor dem grauen Gebäude. Sie rufen im Takt »Coronastraße: shut it down!«. Unter den laut der Bremer Polizei bis zu 300 Protestierenden, darunter auch Unterstützer*innen, sind viele Frauen mit Babys. »Diese spontane Revolte ist gestern Abend von den Frauen ausgegangen«, erklärt Mina Bergfeld, Aktivistin beim Bündnis »Together we are Bremen«. »We are tired, we are fearful, we are sad. We don’t want to die, we want to live!«, ruft eine Bewohnerin.

»Wir essen zusammen, wir schlafen zusammen. Wir leben zu viert, zu fünft, zu sechst auf den Zimmern. Die ganze Welt wird praktisch zugemacht – nur dieses Camp nicht! Es muss geschlossen werden, damit wir vor Corona geschützt werden können!«, fordert die Bewohnerin Isatou C. Ein anderer Bewohner, Mohsen E., beschwert sich über die Luft in der Erstaufnahmeeinrichtung, die nur über eine Belüftungsanlage zirkuliert werde. Fenster könnten nicht geöffnet werden. Alle benutzten die gleichen Türgriffe. Geflüchtete könnten den Virus aus Supermärkten oder Bussen mitbringen. Während das Personal sich mit Masken schützen könne, würden diese nicht an Bewohner*innen verteilt.

Laut Bernd Schneider, Sprecher der zuständigen Sozialbehörde von Senatorin Anja Stahmann (Grüne), lebten derzeit 450 Menschen in der Einrichtung. Seit Erlass der Allgemeinverfügung zur Eindämmung des Coronavirus am 23. März seien 150 Menschen anderweitig untergebracht worden. »Die bisherigen Maßnahmen des Sozialressorts sind nicht ausreichend«, erklärte Sofia Leonidakis, Fraktionsvorsitzende der Bremer Linken, gegenüber »nd«. Ihre Fraktion unterstütze die Forderungen der Bewohner*innen. Schneider rechtfertigte gegenüber »nd« die weitere Öffnung der Erstaufnahmeeinrichtung, da Bremen zur Betreibung einer solchen verpflichtet sei. Die Belegungsdichte solle jedoch kontinuierlich vermindert werden, so Schneider.

Am Dienstag bestätigte die Sozialbehörde, dass es eine erste mit Corona infizierte Person in der Einrichtung gebe. Diese habe »keinerlei Kontakt« zu Bewohner*innen »außerhalb des engen Bereichs für Neuankommende« gehabt und sei inzwischen in einem Zimmer isoliert. Dem widersprachen die Bewohner*innen: die Person und andere Neuangekommene hätten auf den Fluren der Einrichtung regulären Kontakt mit ihnen.

Seit Wochen protestieren Bewohner*innen mit Unterstützung der Zivilgesellschaft in einem Bündnis mit weiteren Bremer Initiativen für die Schließung der Einrichtung. Abstandhalten und damit ein Infektionsschutz gegen die Covid-19-Krankheit sei unter solchen Bedingungen unmöglich . Vor zwei Wochen starteten sie eine Petition, die bisher 3800 Unterschriften erhalten hat. Laut Gundula Oerter vom Bremer Flüchtlingsrat entspricht das Leben in der Lindenstraße einer »täglich stattfindenden 24-Stunden-Großveranstaltung«. Dies verletze die Allgemeinverfügung und das Infektionsschutzgesetz, so Oerter gegenüber »nd«. Deshalb forderte der Flüchtlingsrat am Montag das Ordnungsamt zur unverzüglichen Schließung der Einrichtung auf. Zudem stellte er Strafanzeige gegen unbekannte Mitarbeitende und Verantwortliche der Senatorin für Soziales und der AWO, welche die Einrichtung betreibt. Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt.

Für den Epidemiologen Hajo Zeeb, der am Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) zur Gesundheit von Migrant*innen forscht, stellen Sammelunterkünfte besondere Risikoumgebungen dar: »Alternative Unterbringungsmöglichkeiten sollten mit hoher Dringlichkeit geprüft und umgesetzt werden«, sagt er dem »nd«. Laut dem Weser-Kurier wäre dafür zum Beispiel in Nordbremer Übergangswohnheimen Platz. Sie seien nur zu 76 Prozent ausgelastet. Die Aktivist*innen fordern zudem die Unterbringung in derzeit leerstehenden Hotels. Dafür hätten sich schon einzelne Hotels bereit erklärt. In einem Film forderte »Together we are Bremen« ironisch: »Paläste statt Camps!«.

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