Quarantäne im Pazifik

30 Corona-Verdachtsfälle auf den Osterinseln

  • Martin Ling
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wir haben einen positiven Fall der nicht zurückverfolgt werden kann, der nicht einer Person entspricht, die vor kurzem von woanders her auf die Osterinseln kam. Sondern es ist ein Fall, der vor Ort entstanden ist.« Die Aussage des chilenischen Gesundheitsministers Jaime Mañalich auf einer Pressekonferenz dieser Tage hat eine bedrohliche Dimension. Die Infektionskette des Coronavirus unter den indigenen Rapanui auf den im Pazifik gelegenen Osterinseln kann nicht nachvollzogen werden.

Dass sich der chilenische Gesundheitsminister äußerte, liegt daran, dass Chile 1888 die über 3500 Kilometer entfernt westlich im Pazifik liegende Insel in Polynesien annektiert hat. Das Verhältnis zwischen den einheimischen Insulanern, den Rapanui polynesischer Abstammung, und den zugezogenen Chilenen und zum Staat Chile war schon immer getrübt. Erst 1966 bekamen die Rapanui volle Bürgerrechte. Die Angst um den Verlust der eigenen Kultur wegen des Zuzugs von Chilenen vom Festland ist verbreitet: Nicht einmal mehr die Hälfte der gut 7000 Bewohner sind noch Rapanui. Und die sind durch das Coronavirus nun einer ungeahnten Bedrohung ausgesetzt.

Wahrscheinlich dürfte ein Tourist das Coronavirus eingeschleppt haben. Aber mit Touristen, die es vor Corona Jahr für Jahr in steigender Zahl auf die idyllischen polynesischen Inseln westlich von Chile gezogen hat - über 100 000 im Jahr 2019 - hat der erste nachweislich Coronavirus-Infizierte nachweislich keinen Kontakt gehabt. Deswegen löste die Bekanntgabe des ersten Coronavirus-Falls in der Bevölkerung von Rapa Nui, wie die Osterinseln in der einheimischen Sprache genannt werden, große Besorgnis aus. Nicht nur wegen den begrenzten medizinischen Ressourcen: Gerade einmal ein Krankenhaus und drei Beatmungsgeräte gibt es auf den Osterinseln. Aber die Hauptsorge gilt der Infektionskette: Niemand weiß, wer sich das Coronavirus unter den Einheimischen zuerst eingehandelt hat und wer sich zwischenzeitlich angesteckt hat. 30 Verdachtsfälle liegen bisher vor.

»Die Tatsache, dass es sich um eine einheimische Person handelte, die keinen Kontakt zu den Besuchern der Insel hatte, lässt nur vermuten, dass die Krankheit weiter verbreitet sein könnte, als wir wissen«, sagte Pedro Edmunds, der Bürgermeister von Rapa Nui, gegenüber BBC Mundo.

Chiles Regierung hat inzwischen gehandelt, doch das hat gedauert. Am 19. März setzte sie alle Flüge nach Rapa Nui aus und verfügte eine 14-tägige Quarantäne, um das Virus einzudämmen. Bereits neun Tage zuvor war der erste Fall mit Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Keine Flüge hieß, dass 740 Touristen nicht mehr weg kamen. Inzwischen wurden Evakuierungsflüge durchgeführt.

Die direkte Bedrohung durch das Coronavirus wird noch ergänzt durch Zukunftsängste. »Die Wirtschaft der Insel basiert auf dem Tourismus. Nun geht den Menschen das Geld aus, und diejenigen, die es haben, haben nichts mehr zu kaufen«, sagte der soziale Aktivist Leo Pakarati gegenüber BBC Mundo. Fast die gesamten Lebensmittel müssen vom Festland eingeflogen werden. »Nicht zu wissen, wie viele Menschen mit dem Virus verseucht sind, erhöht die Angst und führt zu einer Lebensmittelknappheit, die ein Produkt dieser Angst ist«, blickt Pakarati düster in die nähere Zukunft. In die weitere blickt derzeit niemand mehr.

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