nd-aktuell.de / 11.04.2020 / Politik / Seite 15

Hoffnung für Angsthasen

Iris Rapoport
Kennen Sie das auch? Dieser gemeine Ton! Noch ehe der Bohrer den Zahn berührt, vermeint man den Schmerz schon zu spüren. Man erduldet es. Denn jeder gezogene Zahn ist ein verlorener. Da haben Haie, Ratten und Krokodile es besser. Hasen auch. Deren Zähne wachsen ein Leben lang. Doch unsere insgesamt 52 (Milchzähne und bleibende) Zähne werden nur einmal vorgeburtlich angelegt und das war’s.
Das muss nicht so sein, dachten die Forscher um Roland Lauster von der TU Berlin. Auch für den Menschen sollte ein natürliches Wachstum der »Dritten« möglich sein. Aus dem Inneren gezogener Weisheitszähne isolierten sie Zellen. Die kultivierten sie so, dass sich neue Zahnkeime bildeten. Dieser Verbund aktiviert in den Zellen die verschiedensten Gene. Dabei werden Botenstoffe gebildet, sodass der Zahnkeim mit dem umliegenden Kiefergewebe kommunizieren kann. So sollte sich – entscheidend durch Signale aus dem umgebenden Gewebe geprägt – schließlich ein neuer Zahn bilden. Soweit die Hoffnung. Vorversuche stimmten durchaus optimistisch. Erste präklinische Tests stehen an. Das Gute dabei: Es ist körpereigenes Zahngewebe. Mit den eigenen adulten Stammzellen droht keine Gewebeabstoßung. Zugleich werden auch ethische Probleme vermieden. Nicht nur die Erneuerung eines kompletten Zahnes, auch die Heilung von Karies könnte künftig mit zahneigenen Zellen möglich sein.
Unsere Zähne sind mit einer extrem harten Schicht überzogen, dem Zahnschmelz. Das darunter befindliche Dentin ist weicher und ähnelt, wie auch der im Wurzelbereich befindliche Zahnzement, eher unseren Knochen. Alle drei Zahnhartgewebe werden durch unterschiedliche Zellen gebildet. Die den Schmelz bildenden Ameloblasten gehen beim Zahndurchbruch unwiederbringlich verloren. Dagegen bleiben die für das Dentin verantwortlichen Odontoblasten und etliche Stammzellen erhalten. Allerdings taugen die Odontoblasten, so wie sie angeordnet und programmiert sind, nicht zu Reparaturarbeiten. Sie mauern eher langsam das im Zahninnern gelegene Weichgewebe, die Pulpa, zu.
Generell haben Stammzellen bei der Wundheilung eine Schlüsselstellung. Sie können sich in die jeweils benötigten spezialisierten Zelltypen umwandeln. Immer ist es die gleiche Handvoll Signalwege, die bei der Entwicklung von Stammzellen deren Schicksal bestimmt. Das geschieht stets fein abgestimmt mit Faktoren, die das umliegende Gewebe produziert. Prinzipiell schlummern diese Möglichkeiten auch in den Stammzellen unserer Zähne.
Bei den theoretischen Grundlagen, diese Möglichkeiten zu nutzen, ist das internationale Forscherteam um Bing Hu von der University of Plymouth’s Peninsula Dental School einen wichtigen Schritt vorangekommen (DOI: 10.1038/s41467-019-11611-0). Für einen der zentralen Signalwege, Notch genannt, hat die Gruppe um Hu den Botenstoff identifiziert, der die Stammzellen aktiviert und eine Geweberegenerierung zur Zahnheilung anregt. Es ist ein Protein, das auf der Grundlage eines Gens namens Dlk1 gebildet wird.
Das ist ein Anfang. Alle bisherigen Versuche wurden an Mäusezähnen durchgeführt. Es ist noch ein langer Weg, bevor an die Anwendung beim Menschen zu denken ist. Doch vielleicht können Löcher in Zähnen zukünftig genauso heilen wie andere Wunden auch. Dann wären Berichte von aufheulenden Bohrern Gruselgeschichten, denen kommende Generationen erschaudernd lauschen.