Sonne tanken mit Abstand

Was die Bevölkerung über Lockerungen der Corona-Bestimmungen denkt

  • Tomas Morgenstern
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Uferwiesen am Landwehrkanal unterhalb des Vivantes-Klinikums sind so etwas wie der Sonnenstrand von Kreuzberg. Bei herrlichem Wetter herrschte dort in den vergangenen Tagen deutlich mehr Gedränge, als es für die Eindämmung des Coronavirus verträglich ist.

Auch am Karfreitag schaut hin und wieder die Polizei vorbei. Doch eine frische Brise sorgt dafür, dass etwas weniger Leute hier sind und mehr Freiraum bleibt. Auf dem Wasser treiben Schlauchboote. Insgesamt herrscht so etwas wie Disziplin. Christiane S. ist Traumatherapeutin in Zehlendorf und hat sich mit einer Freundin etwas abseits niedergelassen. Die beiden Frauen halten Distanz. »Ich achte wirklich auf den Mindestabstand«, sagt Christiane S., findet aber, dass es Zeit für eine Lockerung der Bestimmungen wäre. Die anhaltende Einschränkung der Kontakte schade der Psyche. Ihre Freundin Anne B. hofft ebenfalls auf eine langsame Lockerung, bei der aber nicht alles auf einmal freigegeben werden sollte, »damit es keine Überforderung des Gesundheitssystems gibt«.

»Ich würde eine Lockerung der Bestimmungen jetzt nicht gerade proaktiv einfordern«, meint Tessa L., die bei einer Werbeagentur arbeitet. Sie ist unter der Woche ins Homeoffice verbannt und würde volle Bewegungsfreiheit bevorzugen - »rein aus egoistischen Motiven«, wie sie einräumt. »Aber es läuft doch ganz gut bisher, so wie es ist.« Jobtechnisch komme sie zurecht.

»Man sollte vor allem die Abstandsregeln einstweilen so lassen, wie sie sind und die Einhaltung mit Augenmaß kontrollieren«, meint ein junger Mann. Es werde immer mal wieder ganz schön eng. Nicht jeder sei vernünftig. Erst vorhin sei wieder Polizei da gewesen und habe ermahnt. »Die machen das freundlich, und die Angesprochenen rücken eigentlich auch gleich auseinander.«

Mit Sakko und Halstuch sitzt der 69-jährige Rentner Bernd allein auf einer Parkbank. Er will unter Leute. »Ich fühle mich nicht durch das Virus bedroht, sondern durch die Abschaffung all meiner Freiheiten«, sagt er. Seiner Meinung nach machen es die Schweden richtig. »Bei denen arbeitet die Regierung mit Epidemiologen zusammen, die die psychologischen Folgen der Coronagefahr besser im Blick haben.« Er denke mit Sorge an die vielen psychisch Kranken hierzulande, die Dementen, die alle mit der plötzlichen Isolation und Vereinsamung nicht zurechtkämen. Aus seiner Sicht hat die Politik das ganze Ausmaß der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Krise und der mit ihr verbundenen Beschränkungen noch längst nicht voll erfasst.

Vor dem geschlossenen Restaurantschiff »Van Loon« verkauft der »Float-in Kiosk« frisches Fastfood auf die Faust, Coffee to go und dergleichen. Artig warten Kunden im gebotenen Sicherheitsabstand. »Es läuft ganz gut, aber wirtschaftlichen Gewinn machen wir auf diese Art natürlich nicht«, sagt Peter P., der wie alle Mitarbeiter auf Kurzarbeit gesetzt ist und heute die Fritteuse in Gang hält. Für eine schnelle Abschaffung der Bestimmungen ist er aber nicht. »Erst mal so lassen und über Lockerungen gründlich nachdenken«, das hielte er für richtig. Ab Mai, sagt Peter P., sollte man zunächst Restaurants wieder öffnen. Bei Schulen dürfte es schwierig werden. »Die sollten die Abiturienten möglichst bald durchbringen, ansonsten sollte man es mit dem restlichen Schuljahr nicht mehr so genau nehmen.«

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