nd-aktuell.de / 14.04.2020 / Politik / Seite 9

IMK fordert intelligente Exit-Strategie

Wissenschaftlicher Direktor: »Wichtiger, dass Kontaktbeschränkungen nachhaltig gelockert werden, als dass sie schnell gelockert werden«

Kurt Stenger

Es ist eine knifflige Frage: Während viele Kleinunternehmer auf eine rasche Lockerung der Kontaktbeschränkungen hoffen, da sie um ihre Existenz bangen, lehnen andere dies ab, um bezüglich der Corona-Eindämmung auf Nummer sicher zu gehen. Zu denen, die vor einer übereilten Rückkehr zur Normalität warnen, gehört das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. »Eine vorschnelle Aufhebung der Beschränkungen birgt die Gefahr, dass es zu einem neuen Emporschießen der Corona-Infektionen kommt, die Kontaktbeschränkungen erneut verschärft werden müssen und es am Ende zu längeren und damit ökonomisch kostspieligeren Einschränkungen kommt«, heißt es in einem dem »nd« vorliegenden Bericht, der an diesem Dienstag veröffentlicht wird. Die Lockerung müsse »in gut vorbereiteten Schritten« erfolgen, die zudem unbedingt mit genug Vorlauf kommuniziert werden sollten.

Jeder Monat Lockdown kostet ein Prozent Wachstum

»Es ist wichtiger, dass die Kontaktbeschränkungen nachhaltig gelockert werden, als dass sie schnell gelockert werden«, erklärt der wissenschaftliche IMK-Direktor Sebastian Dullien. Die Kosten stiegen zwar mit einem Andauern über Anfang Mai hinaus überproportional, weil die Gefahr von Firmenpleiten sowie steigender und sich verfestigender Arbeitslosigkeit wachse. Jeder Monat kostet laut Schätzung der Forscher etwa einen weiteren Prozentpunkt Wachstum. Aber am Ende zähle die Gesamtdauer der Betriebsunterbrechungen. »Wenn für zwei Wochen alles wiedereröffnet wird, um dann wieder für zwei Monate schließen zu müssen, ist nichts gewonnen«, so Dullien.

Das IMK fordert daher eine »intelligente Strategie der Öffnung«. Wichtig seien die rasche Kommunikation und Umsetzung von Infektionsschutz und Abstandsregeln in Kindertagesstätten, Schulen, Einzelhandel und Gastronomie. Den Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen müsse klarer als bisher gesagt werden, was ab wann auf sie zukomme. Dazu gehöre neben Vorgaben zu Umbauten und Hygienevorschriften Klarheit, dass bestimmte Einschränkungen etwa bei Großveranstaltungen noch längere Zeit bestehen bleiben werden.

Zunächst teilweiser Betrieb in Schulen und Kitas

In Schulen und Kitas könnte nach Ansicht der Forscher durch »Kohortierung« zunächst ein teilweiser Betrieb wieder aufgenommen werden (etwa: Klassen haben jeden zweiten Tag Unterricht bei klarer räumlicher Trennung). In Geschäften und Dienstleistungsbetrieben solle mit Trennwänden und, je nach Größe, Einlassbeschränkungen gearbeitet werden. Ferner sei zu prüfen, inwieweit eine Pflicht zum Tragen einfachen Mund-Nasen-Schutzes auf öffentlichen Wegen die Infektionsverbreitung begrenzen könnte und ob Städte und Regionen mit niedrigen Infektionsraten bei der Lockerung voranschreiten könnten.

Als »absolut notwendigen« Teil einer Exit-Strategie sehen die Ökonomen aber auch eine Stabilisierung europäischer Nachbarländer an. Es sei wichtig, grenzüberschreitende Lieferketten zu reaktivieren und die Weltwirtschaft zu stabilisieren, so Dullien. Auf EU-Ebene sei deshalb »mehr Flexibilität der Bundesregierung in Fragen der Coronabonds gefragt«.