nd-aktuell.de / 18.04.2020 / Berlin / Seite 18

Koordinierte Rückkehr

Die Beratungsstelle Hayat betreut ehemalige Kämpfer des Islamischen Staats

Philip Blees

Das Wichtigste ist, dass man weiß, wohin die Kinder dann gehen», sagt Claudia Dantschke bestimmt. Dantschke leitet die Berliner Beratungsstelle Hayat (arabisch für Leben), die sich seit 2011 mit Islamist*innen und ihren Angehörigen beschäftigt und diese bei ihrer Deradikalisierung unterstützt. Das betrifft seit einigen Jahren auch die sogenannten Rückkehrer*innen des Islamischen Staats (IS).

Medial ist es ruhig geworden um den IS. Seit der Zerschlagung seines Hoheitsgebiets 2019 hat er seine Aktivitäten verlagert, er existiert immer noch. Vor allem sind nicht alle, die einmal für ihn gekämpft oder ihn unterstützt haben, einfach so verschwunden. Mögen auch viele im Kampf getötet worden sein - in kurdischen Gefängnissen sitzen noch Tausende IS-Kämpfer und ihre Familien - unter ihnen auch bis zu 119 deutsche Staatsbürger*innen. Diese haben das Recht, nach Deutschland zurückzukehren. Ganz ohne Probleme wird das aber nicht funktionieren, das ist auch den Verantwortlichen in der Berliner Senatsinnenverwaltung klar. Es braucht für den Vorgang begleitende Konzepte - frei von Populismus und an Expertise orientiert.

Hayat hat ein solches Konzept. Die Beratungsstelle hat durchaus Einfluss auf die Politik: Zusammen mit anderen Organisationen wie dem Violence Prevention Network (Netzwerk für Gewaltprävention) berät sie beispielsweise den Verfassungsschutz-Ausschuss des Abgeordnetenhauses. Hayat partizipiert auch an der von der Innenverwaltung geschaffenen Koordinierungsstelle, die August letzten Jahres eingerichtet wurde. «Das ist ein relativ neues Projekt», erklärt Claudia Dantschke. Aber keine Berliner Erfindung: Der Vorschlag kam vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - und «das Land Berlin hat sofort zugegriffen», erklärt Dantschke. Auch andere Bundesländer haben die Koordinierung eingeführt. Flächendeckend gebe es bisher gute Erfahrung mit dem Konzept, so Dantschke.

Wer in der Koordinierungsstelle arbeitet, ist bekannt: Beim Innensenator treffen sich fallspezifisch Vertreter*innen von Politik, Sicherheitsbehörden, Jugendämtern und Zivilgesellschaft. «Wir fahren einen ganzheitlichen Ansatz», erklärte Staatssekretär Torsten Akmann (SPD) dazu. Dieses Vorgehen ist auch notwendig: «Es gibt die ersten Fälle von Rückkehrerinnen, die eine sehr lange Zeit im Kalifat gelebt haben», sagt Dantschke. Ihre Beratungsstelle betreut zurzeit sieben von ihnen. «Eine ist hier in Berlin.» Bei so niedrigen Zahlen wird deutlich, dass es sich nicht um ein riesiges Problem handelt, wie es manchmal in Presse und Politik dargestellt wird.

Dantschkes Schätzungen zufolge sind derzeit noch etwa 110 Männer und Frauen in Syrien und dem Irak in Gefangenschaft - als potenzielle Rückkehrer*innen. Dazu kommen etwa 130 Kinder. «Und diese verteilen sich noch einmal auf ganz Deutschland», merkt die Expertin an. Rund die Hälfte von ihnen wolle nach Nordrhein-Westfalen zurückkehren. Auf Berlin kommen wohl nur weitere zehn Fälle zu: «Mehr werden es nicht werden», sagt die Hayat-Leiterin. Zu knapp der Hälfte dieser Personen hatte die Beratungsstelle bereits Kontakt. Insgesamt sind in den vergangenen Jahren 65 Personen aus den Kriegsgebieten wieder nach Berlin zurückgekommen.

Unerwartet treffen solche Fälle die Verwaltung nicht. Wenn die IS-Rückkehrer*innen aus der Türkei abgeschoben werden, gibt es im Vorfeld schon Kontakt zwischen den dort zuständigen Behörden und dem deutschen Staat. «Man erfährt es rund ein bis zwei Tage vorher», sagt die Beraterin. Kommen die Rückkehrer*innen aus dem Irak oder Syrien, wisse man es in der Regel noch früher. Dann gehe es mit dem Flugzeug meist nach Frankfurt oder eben nach Berlin. Wohin die Personen von dort aus weiterreisen, entscheiden diese selbst - wenn kein Haftbefehl gegen sie vorliegt. Dieser kann allerdings auch noch ausgestellt werden, wenn sich die Rückkehrer*innen schon im Flugzeug befinden. Das berge Unsicherheiten, sagt Dantschke.

In der Regel werden die Islamist*innen bei ihrer Ankunft von einer Vielzahl von Beamt*innen empfangen: Vom Jugendamt, von Sozialarbeiter*innen und natürlich von der Bundespolizei, die die Personen erkennungsdienstlich behandelt. Entscheidend ist für Hayat, was mit den Kindern geschieht. Rückkehrer*innen ohne Kinder seien die absolute Ausnahme, sagt Claudia Dantschke - Männer kämen zudem ohnehin kaum zurück aus Syrien und dem Irak. Müssen die Eltern in Haft, sei es oft schwierig, eine Bleibe für die Kinder zu finden.

Vieles daran bereitet auch Claudia Dantschke Sorgen: Wenn die Kinder beispielsweise in Syrien geboren wurden, liegen häufig keine Geburtsurkunden vor - und damit auch keine Staatsbürgerschaft oder ein Aufenthaltstitel. Hinzu kommt die Schwierigkeit, eine Schule oder eine Kindertagesstätte zu finden. Einrichtungen, die bereit sind, das Kind von Rückkehrer*innen aufzunehmen und richtig zu betreuen, gibt es wenige. Über die Transparenz dieser Entscheidung wird auch noch gestritten: Erzählt man den anderen Eltern von der Situation oder schürt das nur unnötige Ängste? Es zeigt sich, dass die Zusammenarbeit von Innen- und Bildungsverwaltung hier zentral ist, um eine Integration und somit auch eine Deradikalisierung zu unterstützen.

«Für alle zurückgekehrten Personen bedarf es einer individuell ausgerichteten Sofortversorgung sowie einer Langzeitunterstützung», erklärt ein Sprecher der Innenverwaltung gegenüber «nd». Diese müsse von staatlicher und ziviler Seite erfolgen. Der Senat finanziert das Violence Prevention Network, Hayat schöpft aus Töpfen des Bundes. Eine Einbindung solcher Projekte sei von elementarer Bedeutung, so der Sprecher. Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung stehen bei Innensenator Andreas Geisel (SPD) an vorderer Stelle.

Für Dantschke muss es auch um die Situation der zukünftigen Rückkehrer*innen gehen, die in kurdischen Gefängnissen und Lagern einsitzen: «Die Situation dort ist eine Katastrophe.» Gerade wegen der Corona-Pandemie sei es notwendig, diesen deutschen Staatsbürger*innen die Rückkehr zu ermöglichen. Dass sich diese Forderung erfüllt, davon geht die Beraterin allerdings nicht aus.