Es gibt Eis, Baby!

sonntagmorgen

  • Volker Surmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Kurz vorm Lockdown: Meine Stammsauna hat noch geöffnet. Sollte ich noch einmal hingehen? Es sind die Tage des Abwägens: Stärke ich meine Abwehrkräfte mehr, als mich meine Mitsaunierenden gefährden?

Aber siehe da: Es gibt kaum Mitsaunierende. Eine Win-Win-Situation, zumindest für mich, für die Sauna wohl eher nicht. Der Betrieb läuft aber ganz normal, und es gelingt mir mühelos, alle Social-Distancing-Regeln bequem einzuhalten, weil sich nur knapp 15 Personen in den Räumen aufhalten. Ich merke, dass ein Bademantel die perfekten Ärmel hat, um Türen ohne Hautkontakt zu öffnen. Überlege, zukünftig die BVG nur noch im Bademantel zu benutzen. Stelle mir das sehr lustig vor. Vor allem, wenn das Robert-Koch-Institut die Empfehlung übernähme.

Selbst beim Aufguss sitzen nur acht Leute schön verteilt mit eineinhalb Metern Mindestabstand zueinander, wo sonst bis zu 30 erhitzte Körper Schweißschicht an Schweißschicht kleben. Bei 90 Grad fühle ich mich sicher. Denn mehr als 26 Grad hält das Virus nicht aus. Hat Herr Drosten gesagt. Oder Herr Kekulé. Oder Facebook.

Nur eins verstehe ich nicht. Habe ich generell nie verstanden und verstehe ich in Zeiten von Corona erst recht nicht: Was treibt Menschen dazu, sich Eiswürfel aus einem Eimer, in den zuvor ein Dutzend Leute mit verschwitzten Fingern reingegrapscht hat, sofort in den Mund zu schieben? Hallo! Draußen macht ihr die U-Bahn-Tür mit dem Ellenbogen auf, und hier lutscht ihr Infekt am Stiel?! Dann könnt ihr in der Bahn auch gleich die Haltestangen abschlecken!

Ich male mir folgende Restaurantszene aus: Du siehst den Kellner mit dem großen Teller dampfender Tagliatelle auf dich zulaufen, und an jedem Tisch, den er passiert, tauchen alle Gäste einmal ihre Flossen in deine Gorgonzolasoße. Dann stellt er den Teller vor dir ab, du fummelst noch einen Splitter Nagellack aus den Nudeln und sagst dann: »Lecker! Yummy, yummy!«

Okay. Ich spreche als gebranntes Kind. Ich habe das auch mal gedankenlos gemacht und mir auf die Weise eine üble Mundhöhleninfektion geholt. Es fing noch am Abend an mit leichtem Kribbeln, doch schon kurze Zeit später war meine Zunge ein blutiges Stück Fleisch, das an ein rohes Steak erinnerte, das einer Horde aggressionsgestörter Jugendlicher in Corona-Quarantäne zum therapeutischen Klopfen überantwortet wurde. Meine Ärztin zuckte nur mit den Schultern und sagte: »Ach, irgend ’n Virus, weiß man nicht. Abwarten.« Und ich ernährte mich zehn Tage von pürierter Suppe. Pürierte Suppe, das ist schlimmer als Weltraumnahrung. Das ist in etwa das, was sie einem durch Magensonden einpumpen.

Der Mann auf der obersten Saunabank, rund eineinhalb Meter schräg über mir, schiebt sich gleich zwei Eiswürfel ins Maul und schnaubt bei jedem heißen Luftstoß wie ein Wallach kurz vorm Gnadenschuss. Jedes Mal rieselt danach eine sanfte Wolke feinen Nieselregens auf mich herab. Es gibt Eis, Baby! - Ich halte die Luft an, seife mich unter der Dusche anschließend intensiv ab und sehne mich nach der Zeit zurück, wo man von Eis nur Salmonellen bekam. Volker Surmann

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