nd-aktuell.de / 27.04.2020 / Wirtschaft und Umwelt

Amazon zieht den Kürzeren

Versandhändler droht mit Komplettschließung seiner Lagerstandorte in Frankreich

Ralf Klingsieck, Paris

Der Versandhandelsgigant Amazon musste in Frankreich vor Gericht eine Niederlage hinnehmen und sinnt jetzt auf Rache. Mit seinem Einspruch gegen ein Mitte des Monats ergangenes Urteil über die Arbeitsbedingungen während der Coronakrise hatte Amazon France keinen Erfolg. Das Berufungsgericht in Versailles bestätigte am Freitag eine Entscheidung des Gerichts von Nanterre vom 14. April.

Das Gericht hatte die Frankreich-Filiale des US-Versandhändlers dazu verurteilt, für optimale Sicherheitsmaßnahmen für die Beschäftigten zu sorgen, vor allem durch die ausreichende Versorgung mit Atemschutzmasken und Desinfektionsgel. Außerdem verlangten die Richter, dass Amazon die Konzentration von Beschäftigten am Arbeitsplatz verringern und dafür seine Angebotspalette reduzieren müsse. Bis auf weiteres dürften nur Lebensmittel sowie medizinische und Hygieneartikel versandt werden. Bei Nichtbeachtung drohte das Gericht eine Geldstrafe von einer Million Euro pro Tag an.

Diesem Prozess waren bereits fünf Verwarnungen der Arbeitsschutzbehörden und zwei Anzeigen von Gewerkschaften vorausgegangen, auf die Amazon jedoch nicht reagiert hatte. Das am 14. April in Nanterre gefällte Urteil wurde jetzt durch das Berufungsgericht im Wesentlichen bestätigt. Nur die erlaubte Angebotspalette wurde um Tontechnik, Fernseher und Computertechnik sowie Büroartikel und Tierfutter erweitert. Etwa die Hälfte des üblichen Angebots bleibt damit weiterhin gesperrt.

Die gegenwärtige Coronavirusepidemie ist ein Riesengeschäft für den Marktführer Amazon, der von der Schließung aller Läden außer denen für Lebensmittel profitiert und dessen Umsatz sich fast auf »Vorweihnachtsniveau« verdoppelt hat. Um diesen zusätzlichen Ansturm zu bewältigen, mussten zusätzlich Zeitkräfte eingestellt werden, doch vor allem wurde der Druck auf die Mitarbeiter erhöht - zu Lasten der Arbeitsbedingungen und des epidemiologischen Schutzes der Belegschaft. Nach Angaben des Dachverbandes des Internethandels FEVAD arbeiten gegenwärtig trotz oder gerade wegen der Epidemie 94 Prozent aller Versandunternehmen im Land weiter, doch außer dem Marktführer hat kein anderes Probleme mit dem Personal. Amazon ist in der Branche bekannt wegen seiner fortgesetzten Verstöße gegen das Arbeitsrecht und andere gesetzliche Verpflichtungen und wegen des fehlenden Dialogs mit dem eigenen Betriebsrat.

Auch Robert Reich, der unter US-Präsident Bill Clinton Arbeitsminister war, kritisiert Amazon scharf. Demnach habe der Konzern seit Beginn der Corona-Pandemie weltweit 24 Milliarden Dollar verdient, verweigere aber gleichzeitig seinen Mitarbeitern in den USA die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.

Auf das erste Urteil in Frankreich hatte Amazon mit der zeitweiligen Schließung aller sechs Logistikstandorte im Land reagiert. Nach dem Berufungsurteil wurde diese Aussperrung der Belegschaft - wenngleich bei vollem Lohn - zunächst bis kommenden Mittwoch verlängert. Bis dahin sinnt die Unternehmensleitung über mögliche Vergeltungsmaßnahmen nach. In welche Richtung die gehen könnten, machte eine in allen großen Zeitungen veröffentlichte ganzseitige Anzeige deutlich, in der Amazon das Gerichtsurteil als ungerecht und unsachlich bezeichnete. Die Belegschaft werde ausreichend gegen Ansteckungsgefahren geschützt, behauptet das Unternehmen und bedauert, daran gehindert zu werden, »allen Kunden wie gewohnt zu Diensten zu sein«. Diese werden nun aufgefordert, über Amazon-Plattformen in anderen Ländern Artikel zu bestellen. Unterschwellig droht Amazon damit, seine sechs Lagerstandorte in Frankreich zu schließen und insgesamt 10 000 Mitarbeitern zu entlassen.

Die vier im Amazon-Betriebsrat vertretenen Gewerkschaften CFDT, CGT, FO und SUD stellen in einer gemeinsamen Erklärung fest, dass die Richter deutlich gemacht haben, dass auch für Amazon »der Schutz der Gesundheit über allen anderen Erwägungen zu stehen hat« und dass die Unternehmensleitung in diesem Zusammenhang verpflichtet sei, alle dafür nötigen Schritte mit dem Hygienekomitee des Betriebsrats abzustimmen.