Feiern geboten

Gastbeitrag: Hans Coppi, Sohn ermordeter Widerstandskämpfer, ist Ehrenvorsitzender der Berliner VVN-BdA

  • Hans Coppi
  • Lesedauer: 3 Min.

Am späten Abend des 8. Mai 1945 unterzeichneten - wenn auch widerwillig - Generalfeldmarschall Keitel, Admiral von Friedeburg und Generaloberst Stumpff die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht im sowjetischen Oberkommando Berlin-Karlshorst. Unter den Fahnen der Antihitlerkoalition unterschrieben der Marschall der Sowjetunion Shukow, der britische Luftmarschall Ted, der US-General Spaatz und Frankreichs General de Lattre de Tassigny um 22.15 Uhr die Kapitulationsurkunde. Nach Moskauer Zeit war es bereits 0.15 Uhr. Radio Moskau berichtete am 9. Mai über das Ende des blutigsten aller Kriege. Auf allen Kontinenten, aber besonders in den von Wehrmacht, Ordnungspolizei und SS okkupierten, geplünderten und ausgebeuteten Ländern feierten Millionen Frauen und Männer die Niederlage des deutschen Faschismus. Nicht nur Freudentränen standen vielen in den Augen. Es blieb der Schmerz eines bitteren Sieges, die Trauer um Familienangehörige und Freunde, die millionenfachen Opfer von Terror und Vernichtungskrieg.

»Der Tod ist ein Meister aus Deutschland«, heißt es in Paul Celans »Todesfuge«, 1944 in Czernowitz verfasst. Im antifaschistischen Bündnis mit Alliierten der Antihitlerkoalition trugen die Rote Armee und die Völker der Sowjetunion den Hauptteil der zivilen und militärischen Anstrengungen. Ihre millionenfachen Opfer bleiben unvergessen.

Als Reaktion auf die Schändung des sowjetischen Ehrenmals hatten zum Jahreswechsel 1989/90 in Treptow wohnende Verfolgte des Naziregimes, Hinterbliebene und Nachkommen die »antiFa Treptow« gegründet. Zu ihren jährlichen Veranstaltungen gehört seit 1990 der Tag der Befreiung. Vor der »Mutter Heimat« im Sowjetischen Ehrenmal gedenken Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) gemeinsam mit Vertretern der Russischen und Belorussischen Botschaft sowie Schülern und Einwohnern der über 50 000 bei der Befreiung Berlins gefallenen Rotarmisten. Weitere Treffpunkte für uns sind am 8. Mai sowjetische Ehrenmale im Tiergarten, in der Schönholzer Heide in Pankow sowie Gedenktafeln in Buch, Lichtenberg, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Köpenick, Marzahn, Malchow und Charlottenburg, die auf den Zeitpunkt der Befreiung in den Stadtteilen verweisen.

ndPodcast zum 8. Mai - Von Tim Zülch

2006 hat die vielfach von jungen Mitgliedern der VVN-BdA ins Leben gerufene Basisorganisation »8. Mai« vorgeschlagen, den in Russland und anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion gefeierten Tag des Sieges, den 9. Mai, ebenso zu begehen. Unterm Motto »Wer nicht feiert, hat verloren« gibt es seitdem am 9. Mai auf dem Parkplatz am Treptower Rosengarten und seit 2016 am Südeingang des Sowjetischen Ehrenmals ein abwechslungsreiches Festprogramm. Der Leitgedanke: »Solidarität statt Nationalismus«. Auch in Berlin lebende ehemalige Sowjetbürger verfolgten mit großer Anteilnahme die auf Deutsch und Russisch moderierten Veranstaltungen.

Für 2020 hat der Berliner Senat beschlossen, den 75. Jahrestag der Befreiung, den 8. Mai, als gesetzlichen Gedenk- und Feiertag zu begehen und mit umfangreichen Kulturangeboten zu begleiten. Letzteres verhindert nun leider das Coronavirus. VVN-BdA ruft deshalb die Bürger und Bürgerinnen auf, wegen der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen bereits in den nächsten Tagen in kleinen Gruppen Stätten der Erinnerung an die Befreier vom Faschismus aufzusuchen und Blumen niederzulegen. Und darüber hinaus die von der Auschwitzüberlebenden Esther Bejarano gestartete Unterschriftensammlung, den 8. Mai zum Feiertag in ganz Deutschland zu erheben, zu unterstützen. Über 54 000 Menschen haben diese bereits unterzeichnet, 75 000 sind unser Ziel.

www.change.org/8Mai

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