nd-aktuell.de / 27.04.2020 / Politik / Seite 5

Rücktritt mit großem Knall

Brasilianischer Justizminister Sergio Moro legt sein Amt nieder

Niklas Franzen, São Paulo

Am Freitag gab der brasilianische Justizminister seinen Rücktritt bekannt. Mehr noch: Er erhob schwere Vorwürfe gegen Präsident Jair Bolsonaro. Die Anschuldigungen von Moro hatten es in sich: Bolsonaro versuche, aus politischen Gründen Einfluss auf die Bundespolizei zu nehmen und an geheime Informationen über Ermittlungen zu gelangen. Moro erklärte auf einer Pressekonferenz: »Das ist ein Vertrauensbruch und ein Zeichen, dass mich der Präsident nicht mehr in der Regierung haben will.«

Die Reaktionen auf den Rücktritt waren heftig, Politiker*innen fast aller Lager zeigten sich empört. Der konservative Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso sagte, dass Bolsonaro »sein eigenes Grab« schaufele, und forderte ihn zum Rücktritt auf.

Hintergrund der Auseinandersetzung war die Entlassung Maurício Valeixos, Chef der Bundespolizei und enger Vertrauter Moros, in der vergangenen Woche. Eigentlich hatte Bolsonaro seinem »Superminister« nach der Wahl 2018 freie Hand bei den Nominierungen gelassen. Die Entlassung Valeixos war ein direkter Affront gegen Moro. Bereits zuvor hatte Bolsonaro mehrmals versucht, Einfluss auf die Bundespolizei zu nehmen.

Vieles deutet darauf hin, dass Bolsonaro seine Söhne schützen will, gegen die die Bundespolizei ermittelt. Sein Sohn Carlos, ebenfalls ul-trarechter Politiker, soll in sozialen Medien Fake-News-Kampagnen gegen den Obersten Gerichtshof organisiert haben. Laut Presseberichten steht er kurz vor der Verhaftung. Auch gegen Präsidentenspross Flávio ermittelt die Bundespolizei. Als Abgeordneter soll er öffentliche Gelder veruntreut und damit illegale Bauprojekte einer Miliz finanziert haben. Den Bolsonaros werden schon lange Verbindungen zu den paramilitärisch organisierten Milizen nachgesagt, die in Rio de Janeiro viele arme Stadtteile mit Waffengewalt kontrollieren und hinter dem Mordanschlag auf die linke Stadträtin Marielle Franco stehen sollen.

Nicht wenige vermuten, dass Moros Abgang vor allem politischem Kalkül und eigenen Ambitionen für die Präsidentschaftswahl im Jahr 2022 geschuldet ist. Vor seiner politische Karriere hatte sich der 47-Jährige einen Namen als Anti-Korruptions-Richter gemacht und durch die Verurteilung von Ex-Präsident und linken Politiker Luiz Inácio »Lula« da Silva bei vielen konservativen Brasilianer*innen Heldenstatus erlangt. Die Linke stellte jedoch stets seine Unabhängigkeit in Frage. Moro wird beschuldigt, durch illegale Absprachen mit der Staatsanwaltschaft einen Komplott gegen die Partido dos Trabalhadores eingeleitet und somit den Weg für Bolsonaro freigemacht zu haben.

Der Abgang Moros trifft die Bolsonaro-Regierung hart. Der extrem beliebte Moro war eine Brücke zur politischen Mitte. Viele wenden sich nun enttäuscht von Bolsonaro ab. In zahlreichen Vierteln, in denen Bolsonaro 2018 die Wahl noch mit überwältigender Mehrheit gewonnen hatte, waren am Freitag lautstarke Proteste gegen den Rücktritt aus den offenen Fenstern zu hören.

Auch die Militärs in der Regierung zeigten sich enttäuscht über Bolsonaros Kurs, ebenso enge Verbündete wie der einflussreiche Unternehmer Luciano Hang. Der rechte Gouverneur von São Paulo, João Doria, der sich in den letzten Wochen medienwirksam als Gegenspieler zu Bolsonaro aufgebaut hat, bezeichnete den Präsidenten gar als »Virus«.

Aufgrund der Anschuldigungen von Moro könnten nun Ermittlungen gegen Bolsonaro eingeleitet werden. Medien berichten, dass der Ex-Justizminister zahlreiche Gespräche aufgezeichnet hat, die den Präsidenten schwer belasten könnten. Die meisten Analyst*innen sind sich sicher, dass Bolsonaro trotz des großen Drucks nicht zurücktreten wird. Doch die Stimmen nach einem Amtsenthebungsverfahren werden lauter. Es liegen 24 Anträge auf Amtsenthebung gegen Bolsonaro beim Präsidenten des Abgeordnetenhauses, Rodrigo Maia, vor, die bisher aber noch nicht auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Es habe dafür nicht die notwendigen Mehrheiten im Kongress gegeben. Das könnte sich nun ändern.